1907 Zahnkünstlerinnung versus Dentist Giebel
Am 17.1.1901 gaben der Schleswiger Friseur Giebel und der Zahntechniker
Emele folgende Anzeigen auf:
"Den geehrten Bewohnern Schleswigs und Umgegend hierdurch die ergebene
Anzeige, daß ich ein Atelier für künstlichen Zahnersatz
unter Leitung des praktischen Zahnartisten Herrn Friedrich Emele, früher
in der kaiserl. königl. zahnärztlichen Klinik zu Pola thätig
gewesen, eröffnet habe. Indem ich mich zur Ausführung sämmtlicher
in diesem Ffache vorkommenden Arbeiten bestens empfohlen halte, bitte ich
um gütigste Unterstützung meines Unternehmens. Hochachtend F.Giebel,
praktischer Zahntechniker, Stadtweg 79
Zahn-Atelier von Friedrich Giebel, Stadtweg 79 vertreten durch den prakt. Zahnartisten Herrn Friedrich Emele. Einsetzen künstlicher Zähne mit und ohne Gaumenplatte, Zahn=Plomben, Nervtödten, Zahnziehen schmerzlos ohne Narkose. Billigste Berechnung! Schonende Behandlung!"
In den folgenden Jahren gab Giebel regelmäßig dentistenübliche Anzeigen auf.
Irgendjemand muß den Vertrag zwischen Giebel und Emele aus dem Jahre 1901 in die Hände bekommen haben und anläßlich der Tagung der Zahnkünstler-Innung im Schleswiger Hotel Ravens am 9.7.1907 SN ihrem Vorstand zugespielt haben. Denn dieser gab am 7.11.1907 in den SN folgende Anzeige auf:
"Anläßlich einer in den "Schleswiger Nachrichten" erscheinenden Annonce eines praktisch ausgebildeten Dentisten Herrn Giebel hält es der unterzeichnete Vorstand der Zahnkünstler-Innung zu Altona, Bezirk Schleswig-Holstein, für seine Pflicht, zur Wahrung der Interessen der in Schleswig wohnenden Mitglieder zu dieser eigenartigen, phänomenalen Annonce Stellung zu nehmen. Für die sog. Ausbildung des praktisch ausgebildeten Herrn bedarf es nur eines Hinweises auf den Lehrkontrakt und Brief, in welchem der Gehilfe als Lehrherr des Meisters fungiert.
Kontrakt:
Zwischen dem Friseur Friedrich Giebel und dem Zahntechniker Friedrich Emele
ist am heutigen Tage folgender Vertrag abgeschlossen worden. Der Friseur
Friedrich Giebel verpflichtet sich hierdurch gegen den Zahntechniker Friedrich
Emele, daß er ihn vom ersten Februar 1901 bis ersten Juli 1901 als
Zahntechniker angestellt hat gegen einen festen monatlichen Gehalt von
60 Mark, sechzig Mark, nebst freier Station.
Dagegen verpflichtet sich der Zahntechniker Friedrich Emele, während
genannter Zeit Herrn Friedrich Giebel, soweit es in seinen Kräften
steht, sämtliche Fachkenntnisse in der Zahnheilkunde beizubringen
und verpflichtet er sich, noch sämtliche Facharbeiten zu übernehmen.
Schleswig, den 9. Januar 1901 Unterschrift Friedrich Giebel Fritz Emele
Unterfertigter betätigt hiermit, daß Herr Friedrich Giebel aus
Schleswig vom 15. Januar 1901 bis heutigen Tag unter meiner Leitung die
praktische Zahntechnik ausgeübt hat, und im Theoretischen, sowie praktischen
Arbeiten perfekt und selbständig ist. Fritz Emele praktischer Zahntechniker
Gurehoncz (Ungarn)
Wie man sieht, ist in 5 Monaten bei Ausübung eines anderen Berufes
noch soviel Zeit erübrigt worden, daß der Herr Chef eine praktische
Ausbildung in der Zahntechnik sich hat aneignen können. Gewiß
ist da ein Beweis für die vorzügliche Auffassungsgabe des Herrn
G., denn Leute mit geringerem Auffassungsvermögen müssen mindestens
3 Jahre lernen, eine ebenso lange Zeit als Gehilfe bzw. Assistent absolvieren
und dann entweder in der Fachschule in Berlin oder bei einem dem Zentralverein
im Deutschen Reich angeschlossenen verein bzw. Innung einer Prüfung
sich unterziehen. Die Annonce selbst charakterisiert den praktisch ausgebildeten
Herrn genügend, ohne daß es eines weiteren Kommentars bedarf.
Das einsichtsvolle Publikum von Schleswig und Umgegend wird den wohlwollenden
praktisch ausgebildeten Herrn wohl zur Genüge durchschauen und sein
Angebot zu würdigen wissen. Vielleicht gibt der praktisch ausgebildete,
scheinbar so gutmütige Herr außer Goldfüllungen für
1 Mark nicht nur künstliche Zähne und Gebisse an Unbemittelte
gratis, sondern gibt den bedürftigen auch gleich ein Abonnement beim
Schlachter und Bäcker dazu, damit seine Leistungen die gebührende
Anerkennung finden. - Hier liegt ein Fall von unlauterem Wettbewerb vor,
der die Behörde zum sofortigen Einschreiten veranlassen sollte. Bei
dieser Gelegenheit erscheint es uns demnach angebracht, etwas über
"billige Zahnbehandlung und künstliche Zähne" zu bemerken.
... Die schrankenlose Gewerbefreiheit auch auf dem gebiete der Zahnbehandlung
bringt es mit sich, daß ungeeignete Elemente, ohne Vorbildung, ja
oftmals ohne jede Fachkenntnis sich niederlassen und ein Zahn-Atelier eröffnen.
Zur Ausführung der etwa vorkommenden Arbeiten engagieren derartige
Zahn-Atelier-Inhaber junge Zahnärzte oder zahntechnische Gehilfen
und versuchen nun, die Behandlung Zahnleidender als ein "Geschäft"
im kaufmännischen Stile zu betreiben. In der Hoffnung, daß das
Publikum von Schleswig und Umgegend diesen Zeilen nicht nur Vertrauen und
Wohlwollen entgegenbringen, sondern auch Nutzen aus ihnen ziehen möge,
zeichnen hochachtungsvoll
Der Vorstand der Zahnkünstler-Innung zu Altona, Bezirk Schleswig-Holstein
J.Moritzen Vorsitzender P.Lebuhn, Schriftführer"
(Bei J.Moritzen handelte es sich nicht um den Schleswiger Dentisten Johannes
Moritzen)
In den SN war dann am 20.11.1907 zu lesen:
"Wie den Lesern erinnerlich sein wird, hatte die Zahnkünstler-Innung
in den "Schl.-Nachr." am 26. Oktober und 6. November eine längere
Bekanntmachung über den hiesigen Zahntechniker Friedrich Giebel veröffentlicht.
Wie wir hören, hat Herr Giebel dieserhalb vor dem Landgericht Flensburg
die Klage gegen die Zahnkünstlerinnung erhoben, auch ist derselben
die Weiterverbreitung der Bekanntmachung verboten. Wir werden auf den Ausgang
des Rechtsstreits zurückkommen."
Wie der Prozeß ausging, ist nicht bekannt. Der Verfasser ist sich
aber ziemlich sicher, dass die Innung wegen der Verunglimpfung Giebels
schuldig gesprochen wurde. Denn es gab bis zum Jahre 1953 überhaupt
keine vorgeschriebene Ausbildung für Dentisten.