Das Schleswiger Theater 1840 - 1974
von Falk Ritter, Schleswig den 1.7.2007
 

1. Einleitung und Quellen
Es gibt schon einige Arbeiten über das Schleswiger Theater. Zuerst ist natürlich das Buch von Eike Pies (ep) zu nennen: "Das Theater in Schleswig 1618 bis 1839". Ebenso die Abhandlungen in Theo Christiansens Büchern (tc1 und tc2), die den Zeitraum 1836 bis 1962 abdecken. Weil sie in die allgemeine Stadtgeschichte eingebettet sind, sind sie nicht zusammenhängend und deshalb für den Leser unübersichtlich.
Die Arbeit von Kirsten Petersen 1) behandelt das Schleswiger Theater während der NS-Zeit.
Der Autor veröffentlichte bereits eine Geschichte des Schleswiger Theaters während der Gnekow-Ära.
Die vorliegende Arbeit soll
1. einen Überblick über das Schleswiger Theater verschaffen. Das Jahr 1974 markiert das Ende des Nordmark-Landestheaters, dessen Akten im Gemeinschaftsarchiv (th) lagern, weshalb hier ein Schlussstrich gezogen wird. 2. quantitative Analysen über jährliche Aufführungen präsentieren. Es wird unterschieden zwischen Uraufführungen, deutschen Erstaufführungen, (Schleswiger) Erstaufführungen und (Schleswiger) Wiederholungen. Premiere ist die erste Vorstellung eines Stückes in einer Theatersaison.
3. von Theo Christiansen nicht erfasste Themen behandeln.
Informationen vor 1840 entstammen ausnahmslos der Arbeit von Pies.
Die Daten aus der folgenden Zeit wurden den Theaterakten des Stadtarchivs (th), den Intelligenzblättern (Ibl), "Schleswiger Nachrichten" (SN), Volkszeitung und Theaterzetteln aus der Zeit von 1861 bis 1971 entnommen. Bis 1913 wurde in der Zeitung oft auf "Näheres die (Tages-) Zettel" hingewiesen. Verteilt wurden sie durch Zettelträger wie Madame Uebermuth (1872) und den Lohndiener Willers (1894), der die Subskriptionsliste herumreichte.

2.1 Überblick von 1618 bis 1969
Die o.a. Tabelle zeigt die Theaterstücke pro Jahrzehnt. Pies schrieb: "Friedrich III. (1616-1659) ist als der eigentliche Begründer des "cimbrischen Musensitzes" anzusehen." Grund für diese künstlerischen Aufschwung war der 30jährige Krieg, der Schleswig halbwegs verschonte und deshalb viele Künstler anzog. Das Gottorfer Musikleben war von entscheidendem Einfluss für die Hamburger Oper. Zahlreiche höfische Feste mit Feuerwerken, theatralischen Aufführungen und Aufzügen verdeutlichen das aufstrebende kulturelle Leben Schleswig-Holsteins im 17. und 18. Jahrhundert." 1750 wurde das westlich vom Schloss Gottorf gelegene Ballhaus (= Sporthalle für Ballspiele) zum Theater umgebaut und blieb es bis 1839. Es bot 295 Zuschauern Platz. In der wichtigsten Epoche der deutschen Theatergeschichte hatte Schleswig eine besondere Bedeutung. Gotha, Mannheim und Schleswig waren nämlich 1781 die einzigen Städte Deutschlands, die ein Hoftheater mit eigenem Ensemble besaßen. 2) Dem ersten Gottorfischen Hoftheater gab der königliche Statthalter Carl von Hessen den Namen "Hofschauspielergesellschaft". Sie existierte bis 1783. 1787-1807 folgte die zweite Hofschauspielergesellschaft. Beide profitierten jetzt umgekehrt vom Hamburger Schauspielstil, was dem Intendanten Abel Seyler zu verdanken war. Die hiesigen Aufführungen wurden vorbildlich und prägten den Stil des gesamten Theaterlebens im nördlichen Deutschland. Die dritte Hofschauspielergesellschaft unter Schleemüller 1833-1837 zeigte eine weitgehende Abkehr von der Sprechbühne zur Oper. (ep) Zwischen 1950 und 1960 erlebten die Schleswiger die Ära Gnekow, über die ausführlich berichtet wird.

2.2 Theaterstücke pro Jahr 1840-1974
Im Zeitraum 1840 - 1974 konnten 2730 verschiedene Theaterstücke gezählt werden (inklusive Gastspiele). Zwischen 1618 und 1839 waren es 1086.

In der obigen Grafik sind die verschiedenen Theaterstücke pro Kalenderjahr aufgetragen. Jedes Stück wurde nur einmal pro Jahr gezählt, egal wie oft es in diesem Jahr aufgeführt wurde. Viele Ereignisse hatten Einfluss auf die Anzahl der Theateraufführungen.
Pies schrieb: "... durch die Kriegswirrnisse konnten seit 1848 keine regelmäßigen Aufführungen mehr stattfinden".
Ein Vergleich zwischen Theaterzetteln und Zeitungsanzeigen in den SN von 1867 bis 1871 ergab, dass von 100 Bühnenstücken in Theaterzetteln nur 31 in den SN annonciert wurden. Aus der Zeit 1840-1860 sind kaum Theaterzettel erhalten und im Intelligenzblatt wurden Theatervorstellungen nur selten inseriert. Deshalb müssen die Mengenangaben aus der Zeit 1840-1860 als sehr unsicher gelten. Fünf Kriege haben ihre Spuren in der Grafik hinterlassen, die beiden gegen Dänemark, einer gegen Frankreich und die beiden Weltkriege. Von 1882-1892 wurde das Schleswiger Theater - wie viele Theater in der Welt - wegen des Wiener Opernbrandes geschlossen.
Der nachhaltigste negative Einfluss fällt nicht sofort ins Auge: Das Kino. Seit 1907 sorgte es für einen kontinuierlichen Rückgang des Theaters. Beispielsweise wurden 1962 in Schleswig 878 Filme gezeigt.
Der Dezember war der Monat der Kindermärchen.

Interessant ist das Verhältnis zwischen Schleswiger Erstaufführungen und Wiederholungen: Im Schnitt wurden pro Jahr 18,7 Erstaufführungen und 20,5 Wiederholungen gebracht.
Die große Anzahl der Aufführungen 1892-1907 wurde durch Wiederholungen verursacht: 400 Erstaufführungen gegenüber 880 Wiederholungen, woran besonders die Volksvorstellungen beteiligt waren. Viele Erstaufführungen waren hingegen der Grund für das kleine Hoch in den Jahren 1930 bis 1932 unter dem Intendanten Dr.Hermann Schaffner: 78 Erstaufführungen bei nur 13 Wiederholungen. Die vielen Erstaufführungen in den 1860er Jahren sind zum einen durch die lückenhafte Quellenlage, zum anderen durch den Berechnungsmodus bedingt und verdienen deshalb keine Beachtung.
Im September 1944 schloss das Schleswiger Theater wegen des "totalen Krieges" seine Pforten bis zur nächsten Saison.
1958 begann die Blütezeit des Fernsehens, dessen Einfluss man auf den Grafiken aber nicht herauslesen kann.
Im Jahre 2002 wurden in Schleswig 42 verschiedene Theaterstücke dargeboten.

3.1 Theatergebäude mit "scheunenhaften Temperaturverhältnissen"
Pies schrieb dazu:
"Abgesehen von der Tatsache, dass das alte Ballhaus vor Gottorf baufällig geworden war und einer umfassenden Renovierung bedurfte, lag das Haus zudem für die Schleswiger Bürger sehr ungünstig. Die Altstadt war weit vom Schloss entfernt, und bei schlechtem Wetter war der Weg über die Dämme nahezu unbenutzbar. Da das Ballhaus von Schleemüller gekauft worden war, hatte Landgraf Friedrich kein Interesse mehr an dem Bau und deshalb auch keine Einwände, als die Bürger der Stadt im April 1837 ein neues Schauspielhaus planten. Unternehmer dieses Projekts waren der Konditor Johann Cantieny, ein gebürtiger Schweizer, und der Maler Hammerich. Hinter dem Haus, Stadtweg Nr. 37, wurde ein ehemaliger Wagenschuppen zum Zuschauerraum umgebaut und ein Bühnenhaus neu errichtet. Der Zuschauerraum fasste 500 bis 600 Personen und soll eine gute Akustik gehabt haben. "Trotz enger Gänge und Treppen und dem engumfriedeten Orchesterraum vor der Bühne, dem reichlich aufdringlichen Souffleurkasten im Vordergrund der letzteren und dem Vorhang mit der schwerfälligen Portieren-Malerei wirkte alles abgestimmt und anheimelnd." Das neue Haus war nach den baupolizeilichen Vorschriften errichtet worden, und selbst der Bauinspektor Meyer konnte keine Mängel feststellen." Im November 1839 wurde es von Hubers Truppe mit "Figaros Hochzeit" eingeweiht. (ep) "Einen festlichen Eindruck machte dieses Theater wahrlich nicht, es glich einem Stall und man munkelte, es sei auch einer gewesen. Nun wurde er zum Musentempel gemacht, der von Frau Cantieny und Tochter bewohnt wurde. Als Theaterkasse diente ein enges, kleines Verließ, das notdürftig von einer Oellampe an der Wand erhellt wurde. Wenn sich nur zehn Menschen im schmalen Eingang befanden, fühlte man schon eine beklemmende Enge, schlimmer wurde es auf der Holztreppe, die zum Rang hinaufführte. Die Oellampen waren nur spärlich verteilt und wenn sie auch ihr bestes taten, den Raum "festlich" zu erleuchten, so war man durch den Eindruck doch nicht gerade überwältigt, trotz der sehr bescheidenen Anforderungen." 3)
Im Sommer gab es auch Freilichtaufführungen hinter dem Theater, die aber zu "störenden Besuchern in den benachbarten Gärten" führten. 4)
Nach einigen Jahren zeigten sich aber doch größere Probleme, wie Pies weiter schrieb: "Das Haus muss in einem traurigen Zustand gewesen sein. Man hat es 1875 als "Tivoli", also als Vergnügungsetablissement benutzt und dafür die Rückwand ausgebrochen, um den Garten in das Restaurant einzubeziehen. Im Winter wurde die Wand durch Bretter geschlossen, die die Kälte im Haus aber nicht genug abdämmen konnten."
Die berühmte Gast-Schauspielerin Marie Niemann-Seebach vom Thalia-Theater Hamburg erlitt 1875 dort sogar eine schwere Erkältung wegen "scheunenhafter Temperaturverhältnisse". 5) Nun fragt man sich, warum dieser Bühnenstar, der erst 1870/71 eine große Nordamerika-Tournee unternommen hatte, es nötig hatte, in einer Scheune aufzutreten. Dazu eine Passage aus ihrer letzten Biografie:"Sie trug ihre Bühnenkunst bis hinauf nach Tilsit und Memel, in die entlegensten Provinzstädtchen. Väter schickten ihre Söhne, Mütter ihre Töchter in die baufällige, zu Theatern hergerichtete Bretterbude, damit die Kinder einen letzten Abglanz dessen sähen, was einst der Eltern höchstes Entzücken gewesen und in der verklärenden Erinnerung sogar noch bezaubernder geworden war. In großen Städten dagegen stieß sie auf rauhere Töne. In Hamburg gab es nicht mehr Waterloosoupers, sondern der Chronist witzelte mit der Goetheschen Wendung: Antiker Form sich nähernd." 6) Kurz gesagt: sie mochte einfach nicht davon lassen, als 48jährige Matrone noch das Gretchen im Faust zu spielen.
Im selben Jahr beschädigte das Hochwasser die Gasleitung, so dass die Beleuchtung ausfiel, doch war noch mehr zu berichten:
Hohe Frisuren der Damen behinderten anderen Zuschauer die Sicht.
Ein Aufruf an die Fuhrleute forderte Omnibusse für Theaterbesucher bereitzustellen. Im folgenden Jahr beschwerten sich Zuschauer wegen großer Pfützen im Parkett. 7) Eine Theaterheizung war früher nicht selbstverständlich, denn auf einem Theaterzettel vom 19. Dezember 1867 war seitlich aufgedruckt: "Das Theater ist geheizt." (siehe Abb.) Der katastrophale Brand in der Wiener Oper schreckte weltweit alle Theaterbetreiber auf und führte zur Schließung vieler Theatergebäude, so auch in Schleswig im nächsten Jahr.
In den folgenden 10 Jahren übernahm das Hotel "Bellevue" die theatralischen Gastvorstellungen.
Im Jahre 1892 eröffnete der Gastwirt Nissen im Lollfuß 33 sein "Gesellschaftshaus" (später Stadttheater). Die neuen Brandschutzbestimmungen erlaubten das Rauchen nur noch im Foyer. 8) Seitdem verfügt das Theater auch über einen "Eisernen Vorhang" als Brandschutz .
1924 erhielt das Bühnenhaus eine moderne technische Einrichtung und 1937 einen Umbau des Zuschauerraums.
Nach dem völligen Umbau im Sommer 1955 fasste der Saal 620 Personen.

3.2 Andere Lokale für das Theater
Die Ensembles spielten nicht nur in den beiden Theatergebäuden sondern auch in Hotels, Schulen und Kirchen. Bei längeren Schließungen des Stadttheaters wichen sie auf folgende Etablissements aus:
1882-1892 Hotel Bellevue, auf dem Platz der heutigen Lornsenschule. Der Weg dorthin war oft dunkel, denn 1885 konnte man lesen: "Der Weg von der Promenade zu Bellevue ist genügend beleuchtet". 9) Das alte Stadttheater wurde wegen neuer Brandschutzbestimmungen geschlossen.
1914-1919 Holsteinisches Haus, das Stadttheater diente als Reservelazarett 10)
1945-1948 Großer Baumhof, das Stadttheater wurde von der Royal Army requiriert und in "Drury Lane theatre Schleswig" umgetauft. (th)

3.3 Abstecher auf die Dörfer
Seit 1876 entwickelte sich das Schleswiger Theater zur "Abstecherbühne" für die umliegenden Dörfer. Dazu verkehrten auch Sonderzüge, bes. zwischen Schleswig und Süderbrarup bzw. Satrup. Bis 1912 wurden auf den folgenden 10 Dörfern 75 % aller Theatervorstellungen (auch von anderen Bühnen) auf dem Lande abgehalten.
Süderbrarup 25
Wellspang 19 (kein Schleswiger Theater nachgewiesen)
Böklund 16
Satrup 14
Jübek 12
Treia 10
Stolk 8 (kein Schleswiger Theater nachgewiesen)
Scholderup 7
Kropp 6
Haddeby 5 (kein Schleswiger Theater nachgewiesen)
Die vielen Theatervorstellungen in dem winzigen Wellspang erstaunen nur auf den ersten Blick. Denn von 1604 bis 1853 unterlagen alle umliegenden Dörfer dem Zwang, nur die hiesige Wassermühle zum Mahlen des Getreides zu benutzen. Seit 1850 existierte für 100 Jahre ein sehr gut besuchter Gasthof mit Park, wohin es viele Wochenendausflügler in ihren Kutschen zog. Die Anlage einer Post-, Telefon- und Bahnstation taten ihr übriges. Wegen der günstigen Verkehrslage stiegen hier viele Vertreter ab, auch wurden regelmäßig Lehrer- und Pastorenkonferenzen abgehalten. 1909/1910 gefiel es dem Lübecker Opernsänger Richard von Schenk, hier öfter abzusteigen. 11)
Zwischen 1910 und 1920 sah Schleswig viele Gastspiele, insbesondere auch von großstädtischen Bühnen.
1925 erleichterte der erste Thespiskarren Deutschlands - ein Omnibus mit Anhänger - Aufführungen außerhalb von Schleswig anzubieten. (tc1)
Zwischen 1924 und 1931 veranstaltete das Nordmark-Landestheater Spiele in Apenrade, Bredstedt, Eckernförde, Friedrichstadt, Gelting, Heide, Husum, Kappeln, Neumünster, Rendsburg, Satrup, Schleswig, Sonderburg, Tingleff, Tondern und Wyk a. Föhr. Ein Abstecher nach Helgoland sollte den arbeitslosen Schauspielern im Sommer zugute kommen, wurde aber ein finanzieller Flop. (tc1)
Auch in den Jahren 1933 bis 1950 war der Karren viel unterwegs, seine Ziele aber nur wenig dokumentiert.
Ab 1950 trug das Theater regelmäßig Gastspiele nach Bredstedt, Eckernförde, Garding, Glücksburg, Hamburg, Hameln, Husum, Kappeln, Karby, Niebüll, Rendsburg, St.Peter Ording, Stralsund, Süderbrarup, Tönning, Treia, Westerland und Wyk. Dadurch verfügten die Schauspielern auch im Sommerhalbjahr über regelmäßige Einnahmen.
Nach dem 2. Weltkrieg war Schleswig das erste deutsche Theater, das Austauschgastspiele mit Dänemark (Odense 1952) und der DDR (Stralsund 1957) durchführte.

4.1 Das Leben der Schauspieler
Über das Leben der Schauspieler im 19. Jahrhundert schrieb Christiansen:
"Die Schauspieler waren in diesen Jahrzehnten Outsider der Gesellschaft. Sie kamen und gingen und lebten in ärmlichen Verhältnissen." (tc1) Wie arm zum Beispiel der Theaterdirektor Schäffer (1842-1850 in Schleswig) war, schilderte Asta Heiberg, geb. Baudissin, Frau des Bürgermeisters: "Frau Schäffer hatte einmal mehrere Damen und mich gebeten, Taufpathe bei ihrem neugeborenen Kinde zu sein. Wir versammelten uns in dem sauberen Zimmer, ein langer magerer Theologe unterhielt sich mit Herrn Schäffer, dann gruppierte man sich, und mir wurde das kleine Wesen auf den Arm gelegt. Der Pastor sprach sehr bewegt und pathetisch. Das Kind schrie nicht wie es sonst geschieht; es lag ganz ruhig und bewegte sich nicht; da hatte ich plötzlich die Ueberzeugung, daß ich ein todtes Kind im Arm halte. Ehe ich die Tragweite dieser Situation überlegen konnte, hatte der Pastor das Kind getauft und mir wurde es abgenommen. Wir legten unser Pathengeld in die Wiege und entfernten uns. Am nächsten Morgen erhielt ich die Anzeige, das Kind sei wirklich in jener Stunde gestorben. Wahrscheinlich war das Kleine schon kurz vor der Taufe dahingegangen; wenn diese aber nicht stattfand, fiel auch das Pathengeld weg, und sie brauchten es so nothwendig bei ihrer furchtbaren Armuth. So gebietet die Noth Vieles, was im Wohlstand unterbleibt." Ihre einzigen Kostüme trugen die Schauspieler am Leibe. Requisiten wurden von Frau Heiberg gestellt. 12)
Selbst der Intendant Dr.Gnekow lebte noch 1955 unter dürftigen Verhältnissen. Die Schauspieler erhielten ihre kleine Gage als Selbständige bar ohne Abzüge überreicht. Für die Vermittlung mußte das Theater an die Agenturen - in den 50er Jahren meist "Greving & Meier" in München - 10% des Monatsgehaltes für die Dauer des Engagements überweisen. Den Schauspielern war es oft egal, wieviel sie bekamen, Hauptsache "eine Rolle"! Nie kamen sie auf die Idee, um die Höhe der Gage zu feilschen, es sei denn, sie hatten sich schon einen Namen gemacht. Ganz anders die technischen Mitarbeiter: Sie pochten immer auf ihre gewerkschaftlich ausgehandelten Tarifverträge. (gs)

4.2 Benefize
Wir lesen heute manchmal von Benefizveranstaltungen, die einem "guten Zweck" dienen sollen. Solche Anlässe fanden sich auch im 19. Jahrhundert wie
1842 Benefiz für die Abgebrannten in Hamburg
1856 Benefiz zum besten hiesiger verschämter Arme
1864 Benefiz für verwundete Krieger
1874 Benefiz für arme Kinder
1876 Benefiz für Errichtung eines Krankenhauses in Schleswig 13)
Das "normale" Benefiz kam in der zweiten Saisonhälfte einzelnen Schauspielern zugute. Sie brauchten dieses Geld, um die Arbeitslosigkeit im Sommerhalbjahr zu überstehen. Auf einem Theaterzettel des Jahres 1867 wurde z.B. im Kopf mit "Zum Benefiz für Fräulein Susanne Lenz" geworben. Auf dem gleichen Zettel las man auf der Rückseite:

"Zu meiner
Benefiz-Vorstellung
lade ich hiermit ergebenst ein.
Hochachtungsvoll
Susanne Lenz."

Sie spielte am 19. Dezember die Hauptrolle in dem Volks-Schauspiel "Marie-Anne, ein Weib aus dem Volke" von Manfred Dräxler. (siehe Abb.) Mit der Gründung des Verbandstheaters unter Herold im Jahre 1912 hörten die Schauspieler- Benefize auf.

4.3 Berufe am Theater
Bretter, die die Welt bedeuten, beschäftigen eine große Anzahl von Berufen, die von A wie Ankleider über S wie Souffleuse bis Z wie Zettelträger reichen. Insgesamt konnten 49 verschiedene Tätigkeiten ermittelt werden. Ihre Funktionen haben sich gegenüber damals häufig geändert, weshalb auf sie hier noch einmal eigegangen wird:
Spielleiter und Regisseur bezeichnen im Prinzip die gleiche Tätigkeit. Der Oberspielleiter steht in der Hierarchie dem Intendanten schon sehr nahe.
Die Dramaturgin ist heute nur noch für das Programmheft zuständig, während sie früher auch Aufgaben erfüllte, die mittlerweile vom Regisseur und Intendanten wahrgenommen werden.
Der Inspizient sorgt dafür, dass während der Vorstellung alles klappt, z.B. überwacht er den sekundengenauen Auftritt der Schauspieler.
Die Chargen sind Träger kleiner Nebenrollen wie z.B. die Frau, die den Kaffee serviert.
Der Statist hat eine "stumme" Nebenrolle, beim Film wird er Komparse genannt.
Der (Solo-) Repetitor übt die Rolle mit dem Schauspieler ein.
Der Requisiteur schafft wichtige Handlungsgegenstände heran wie z.B. ein paar Maschinenpistolen: Er sorgt dafür, dass sie nur mit Platzpatronen geladen sind und auch funktionieren - so geschehen im Jahre 1961 bei der Aufführung "Das Ende vom Lied" von Willis Hall. (gs)
Einen Souffleurkasten gab es noch Ende der 40er Jahre, denn Gunhild Appuhn-Biese berichtete: "Die Souffleusen (Elvera Köhn, Lydia Richter) hatten es im Theater in ihren zugigen Kisten einigermaßen gemütlich, weil sie wenigstens sitzen konnten." 14) Heute stehen sie rechts oder links verborgen hinter den Kulissen.
Prolog-Sprecher begrüßten das Publikum, kündigten das Stück mit Informationen darüber an und trugen auch Gedichte vor. Ihre größten Auftritte hatten sie mit dem "Fest-Prolog" bei Tod oder Geburtstag des jeweiligen Kaisers und seiner Gemahlin. Prologe waren nur bis 1908 Usus in Schleswig.
1864 inserierte Carl Hocke vom Sommertheater: "Junge Leute, die Lust haben, Rollen zu schreiben, können sich bei mir melden, Kornmarkt 14 und 15, D.O." 15) Er suchte mit dieser Anzeige keine jugendlichen Dramatiker, sondern Kopisten, die Theaterstücke für die Schauspieler vervielfältigten.

4.4 Rollenfächer und Zeitverträge
Bei Gastschauspielern wird im Vertrag immer genau die "Rolle" festgeschrieben, während bei den Zeitverträgen manchmal festgehalten wird, für welches Rollenfach die Schauspieler engagiert werden, als da sind: Bonvivant (Lebemann), Held, Hosenrolle, "Intriguant", Kind, komische Alte, erste, zweite oder dritte Liebhaberin, Naive, Naturbursche, polternder Alter und Sentimentale. Der Buffo ist ein auf komische Rollen abonnierter Sänger (Tenor- oder Bassbuffo). Die Soubrette singt ein "verschmitztes" Kammermädchen im Sopran.
Eine Theatersaison dauerte immer vom 1.September bis ins Frühjahr. Bis 1957 gab es nur 9-Monatsverträge; oft wurden sie auch verlängert durch Gastspiele, z.B. als Abstecher an die Fremdenverkehrsorte der Westküste. Im Januar zittern die Schauspieler, aber nicht wegen der Kälte, sondern weil ihnen der Intendant bis Endes des Monats mitteilen muß, ob er sie für die nächste Saison weiter engagieren wird. (gs)

4.5 Die Unterbringung der Schauspieler 1950-1974
war bei den Abstechern an die Westküste stets ein Problem, da die Betten in der Sommer-Saison häufig ausgebucht waren, ganz zu schweigen von den Preisen, die sich das Theater gar nicht leisten konnte. In Westerland verbrachten sie die Nächte meist in der Garderobe. In Schleswig logierten die Schauspieler immer bei den gleichen Adressen: im linken Flügel des Prinzenpalais, wo fast immer Platz war, (gs) in unmittelbarer Umgebung des Theaters im Lollfuß, in der Neuwerkstr.7 bei Dr.Moosmann und Bellmannstr. 2 bei Dr.Drews. Im letzten Haus wohnten Fiete Krugel-Hartig und der Schleswiger Theaterkritiker Otto Pautz. Jürgen Drews jun. hatte sich wohl von den Schleswiger "Comödianten" anstecken lassen, auch ins Showbusiness einzusteigen. 16)

5.1 Gastspielbühnen

In dieser Grafik wurde die Anzahl der Gastspiel-Bühnen pro Jahrzehnt aufgetragen. Das erste Maximum liegt in den Jahren 1910-1919. Ursache könnte das Kino und der Krieg gewesen sein, was die Theater dazu trieb, außerhalb der eigenen Städte zahlende Zuschauer zu suchen. Das zweite Maximum fällt in Dr.Gnekows Intendantenzeit. Schleswigs guter Ruf lockte sie hierher. (gs) In der Liste der prominenten Gastbühnen außerhalb Schleswig-Holsteins stechen besonders die Berliner Theater hervor.
1903, 1924 Oberammergauer Passionsspiel
1906, 1908 Tegernseer Volkstheater
1910 Urania-Theater, Berlin
1910, 1916 Maria Rehoff-Tournee
1911, 1917 Schiller-Theater, Hamburg
1912 Deutsches Theater Berlin
1918 Wiener Operettentheater Johann Strauß
1923 Hans Holtorf-Truppe
1923 Ibsen-Theater, Norwegen
1924 Niederdeutsche Bühne, Hamburg (Ohnsorg-Theater)
1925 Berliner Schaubühne
1925 Deutsches Schauspielhaus, Hamburg
1931 Kleines Theater, Berlin
1931 Neues Theater, Berlin
1953 - 1956 Königliches Theater, Kopenhagen
1955 Odense
1956 Berliner Ballett
1956 Schloßparktheater, Berlin-West
1957 - 1960 Stralsunder Theater
1958 Brecht-Ensemble, Berlin-Ost
1959 Staatstheater, Berlin-Ost

5.2 Dilettantenvorstellungen
Dilettanten am Theater sind Amateure. Solche spielten in Schleswig erstmalig am 12.2.1868 (SN). Die Komödie stammte von Moser und lautete: "Wie denken Sie über Rußland?" Interessant ist, dass fast nur Adelige die Aufführung bestritten: Frau von Zastrow, Graf Baudissin, Heiberg, Kammerjunker von Holstein, Frhr. von Richthofen, Bureauchef von Rumohr und Frl. Keck (Tochter vom Domschuldirektor). Es folgten weitere Vorstellungen im Jahre 1870. 1876 diente der Reinerlös einer Vorstellung als Benefiz für die Errichtung eines Krankenhauses in Schleswig. In der Folge bildeten sich weitere Dilettantenvereine 1909 in Füsing, 1912 in Gammellund, 1912 in Süderbrarup, 1912-1913 in Tolk und 1929 in Scholderup.

5.3 Volksvorstellungen für Dienstmädchen
Der Theaterneubau 1892 hatte den Regierungspräsidenten und andere Bürger "höheren" Standes dazu veranlasst, den Kollegien zu empfehlen, die für den Bau geleistete Finanzhilfe zum Anlass zu nehmen, auf die Spielpläne einzuwirken und vor allem an Tanzabenden durch gesunde Volksstücke und billige Eintrittskarten breiten Schichten der städtischen Bevölkerung den Besuch zu ermöglichen. Die Kollegien gingen auf die Vorschläge ein und bildeten zu ihrer Verwirklichung eine Kommission mit Dr.Heiberg, Dr.Witt und Herrn Stehn. Die "Obrigkeit" fühlte sich für das moralische Wohl der Bevölkerung verantwortlich. Eine weitere Kommission bestand aus dem Postdirektor Tietz als Vorsitzenden, dem Taubstummenlehrer Kruse, Redakteur Leonhard, Kantor Metting und Hauptlehrer Schau. (tc1)
Bei der Verwirklichung der Volksvorstellungen tauchten zwei Probleme auf: Zum einen konnten die Dienstmädchen am vorgeschlagenen Samstag nicht ins Theater gehen, weil sie da arbeiten mussten, zum anderen fehlte im neuen Theater eine Gallerie, so dass die billigen Stehplätze wegfielen.
Als Zielgruppe für die Volksvorstellungen wurden angepeilt:
"Alle Leute von bescheidenem Einkommen wie Unterbeamte, kleine Handwerker, Handwerksgesellen, Gehülfen, Arbeiter, Lehrlinge aller Art, Näherinnen und Dienstmädchen." 17)
Die erste Volksvorstellung ging am 9.12.1892 mit "Mein Leopold" von L´Arronge über die Bühne und war mit 850 Besuchern prall gefüllt. Weitere Aufführungen folgten bis 1914.

5.4 Fremdenvorstellungen durch Eisenbahn ermöglicht
Da meldeten sich auch die Bewohner der umliegenden Dörfer zu Worte, wie ein Leserbrief vom 13.10.1892 (SN) bezeugt:
"Mit Interesse lesen wir Landleute die öfter in den Schleswiger Nachrichten annoncirten Theateraufführungen und würden uns auch rege an dem Besuch des Theaters betheiligen, wenn der lange Weg nach Schleswig sich nicht als Hinderniß in die Quere stellte. Aus wie vielen Munden hört man nicht die Worte sprechen:" Wenn das Theater bloß etwas näher bei uns wäre, ich wollte jeden Abend als Zuschauer erscheinen." Ließe sich dieses Hinderniß nicht dadurch etwas beseitigen, wenn die verehrte Direktion der Schleswig-Angler-Eisenbahn auch nur einmal versuchsweise einen Extrazug des Nachts nach Süderbrarup abgehen lassen könnte, gewiß wäre eine große Betheiligung seiten der Landleute zu erwarten.
Ein Theaterfreund"
Der Bitte wurde entsprochen und so konnte man 1893 von Sonderzügen am Freitagabend zwischen Schleswig und Süderbrarup lesen. Die auswärtigen Besucher hießen ab 1909 "Fremde" und ihre Vorstellungen "Fremdenvorstellungen", welche "zu bed. erm. Preisen" offeriert wurden. 18) Um in den Genuss der Ermäßigung zu kommen, mussten sie nur ihren Fahrausweis vorlegen. 1911 fuhren Sonderzüge auch nach Kropp, Jagel, Mielberg und Groß-Rheide.

Im Gegensatz zu den "Fremdenvorstellungen" verfügen einige Theaterhäuser größerer Städte (nicht Schleswig) über sogenannte "Fremdenlogen", welche paradoxerweise die teuersten Platzgruppen repräsentierten. 19)

Man konnte im Theater auch Platzmieten abschließen, wie einer Anzeige im Jahre 1944 zu entnehmen ist:
"Stadttheater Die Inhaber der festen Platzmiete (blau und rot) werden gebeten, ihr Stammsitze bis zum 12.August 1944 zu erneuern, da nach diesem Zeitpunkt anderweitig über diese Plätze verfügt wird. Neuanmeldungen für feste Platzmieten werden ab 14.August entgegengenommen, wohlfreie Platzmieten ab sofort." 20) Sie erhielten ihr Geld bestimmt bald zurück, denn Anfang September wurde das Theater wegen des "totalen Krieges" geschlossen.

5.5 Volksbühne, Bühnenvolksbund
1923 gründeten der Redakteur der Volkszeitung Hans Flatterich (SPD) und die Gebrüder Grell (beides Drogisten) die Volksbühne. Als Konkurrenz dazu etablierten die Bürgerlichen 1925 den Bühnenvolksbund. Sie wollten durch Abschluss von Abonnementsverträgen dem Theater höhere und konstantere Einnahmen bescheren. Die Volksbühne wurde 1933 verboten und der Bühnenvolksbund in der "Deutschen Bühne" gleichgeschaltet. Theo Christiansen berichtete bereits über diese Bünde und behandelte das damit verknüpfte tragische Schicksal des Intendanten Friedrich Herold (bis 1924).

5.2 Plattdeutsches Theater

Die erste plattdeutsche Vorstellung erfolgte 1877 mit "De bemooste Haupt" von Roderich Benedix. 21) Plattdeutsche Stücke wurden bis 1945 nur als Gastspiele gezeigt. Theo Christiansen schrieb:
"Die schon im Herbst 1945 gegründete niederdeutsche Bühne Axel Dühren-Schröders bekam 1948 Konkurrenz. Als der Besuch des »Renaissancetheaters« Nicolais nach der Währungsreform bedrohlich schrumpfte, versuchte er, sein Unternehmen durch ein Mitschwimmen auf der >Heimatwelle< zu retten. Er fügte seinem Theater eine niederdeutsche Abteilung unter der Leitung des beliebten Schauspielers Bruno Gerhardt an. Es kam aber nur zu einer Premiere mit »De Knecht von Folingbro« am 9.August 1948. Der Konkurs des Theaters war aber nicht mehr abzuwenden. Auch Schröders Bühne konnte sich ohne Zuschüsse nur mühselig über Wasser halten. Als dann Franz Grell den Vorsitz übernahm und zehn Jahre der beliebte Schauspieler des Nordmark-Landestheaters Bruno Gerhardt künstlerischer Leiter war, festigte sich das Theater unter dem Namen »Plattdütsche Komödi Schleswig«. Am 26.1.1959 wurde sie dann unter der Nummer 238 als »Niederdeutsche Heimatbühne Schleswig« ins Vereinsregister eingetragen. Der Geschäftsführer war jetzt Adolf Bielfeldt. Aus ihr heraus entstand ihre Konkurrenz, da bei der Besetzung der wichtigsten Rollen Rivalitäten entstanden. Die Familie Klingenhoff stellte die Stars der einen, Dienesen der anderen Bühne, die sich als »Speeldeel Schleswig« formierte und am 19. Januar 1962 ins Vereinsregister eingetragen wurde. (Nr. 257). Ihr Vorstand war Dieter Engelhardt und dann bis heute Werner Jungjohann. Etliche Versuche, die beiden Konkurrenten zu vereinen, scheiterten. Heute haben sie sich mit erstaunlich vielen aktiven Mitgliedern durchgesetzt. Die beiden Bühnen haben sich die Aufgabe gestellt, die niederdeutsche Sprache zu beleben und in ihren Programmen vor allem zu »Dem Vergnügen der Einwohner«, wie es über dem Theater in Potsdam stand, beizutragen."
Seit den 70er Jahren bildeten sich auf dem Lande viele kleine Laienspielgruppen, was dazu führte, daß die Dörfer kaum noch plattdeutsche Gastspiele in Schleswig nachgefragten. 1967 bot die Schleswiger Speeldeel nicht nur leichte Unterhaltung, sondern auch ihr erstes "ernstes" Stück auf Platt an, was vom Publikum gerne angenommen wurde: "Kruut gegen den Dood" von Hans Herrmann. 22) Die Niederdeutsche Bühne Schleswig brachte 1975 ihr erstes Singspiel mit "De Reis´ no Helgoland" von Franz W.Schilling. 23) Auffallend ist das Milieu der Stücke: Sie spielen immer im Volke, selten in der gesellschaftlichen Oberschicht. Deswegen erscheinen plattdeutsche Versionen von Shakespeare und Schiller heute noch undenkbar.

6.1 Uraufführungen (UR) und deutsche Erstaufführungen (dt.Erst.)
Auffallend ist die hohe Anzahl von Stücken lokaler Dramatiker im 19. und Anfang des 20.Jahrhunderts wie Neupert, A. und W. Baudissin, Wulff, Terno, Tränckner, Leuchsenring und Grell.
Die deutsche Erstaufführung von Ibsens Nora (Originaltitel: Et Dukkehjem) fand tatsächlich am 18. Februar 1880 in Schleswig statt, obwohl die einschlägige Literatur "Residenztheater München am 3. März 1880" ausweist.
Ein Sternchen * vor dem Stück weist auf die überregionale Bedeutung des Dramatikers hin. Um dies herauszufinden, wurde nicht nur ein Schauspielführer 24) benutzt, sondern der Aktualität wegen auch die Auffindbarkeit des Autors im Internet als Maßstab herangezogen.
Das Theater muß immer 10 % der Einnahmen an den Verlag mit den Aufführungsrechten abführen, meist "Bloch & Erben". Wenn deutsche Erstaufführungen oder sogar Uraufführungen angeboten werden, so bekommen in der Regel die großen Theaterhäuser den Zuschlag, weil sie die meisten Einnahmen versprechen. (gs) Der Intendant Dr.Gnekow (1950-1960) zeigte sich bei der Auswahl seiner Stücke in dieser Hinsicht besonders erfolgreich, weil er sich an schwierige Stücke heranwagte, die Intendanten großer Bühnen links liegen ließen. Der innovative Intendant Dr.Schaffner (1930-1932) kommt bei dieser Zählweise zu kurz: Er bot zwar 78 Schleswiger Erstaufführungen neben 13 Wiederholungen an, wozu aber nur 3 unbedeutende Uraufführungen und keine deutsche Erstaufführung zählte.

1840 Die beiden Fouriere, Komödie von Neupert, UR
1867 Annektirt, Genrebild von Adalbert Graf von Baudissin, UR
1870 Durch Nacht zum Licht, Spiel von W. Wilibald Wulff, UR
1877 Der Zauber der Humanität, von W.Wilibald Wulff, UR
1877 Lamm und Löwe, Komödie von Wulff, UR
1880 * Nora, Schauspiel von Henrik Ibsen, dt. Erst.
1880 Die Geisterbannerin, Komödie von W.Wilibald Wulff, UR
1880 Gräfin Lea, Schauspiel von W.Wilibald Wulff, UR
1881 Ein leeres Blatt, Tendenz-Schauspiel von W. Wilibald Wulff, UR
1881 Die letzten Ditmarsen, Schauspiel von W.Wilibald Wulff, UR
1888 Farinelli, Operette von Wilibald Wulff und Charles Caßmann, UR
1897 Der erlöste Peri, Schauspiel von Emil Terno, UR
1903 * Im bunten Rock, Komödie von Schönthan und Schlicht (= Wolf Graf von Baudissin), UR
1907 Wer führt die Braut heim, Schwank von Gusmann, UR (28.4.)
1910 Die Nixe, Komödie von Emil Terno, UR (März)
1911 Manstein allzeit voran, Festspiel von Emil Terno, UR (19.3.)
1914 Der Morgen tagt, Heimatspiel von Emil Terno, UR (5.2.)
1925 Karthago, Schauspiel von Karl Schmitz, UR (13.1.)
1927 Der tolle Frederik, Schauspiel von Tränckner, UR
1930 Der deutsche Funke, Heimatfestspiel von Johannes Thomsen UR
1931 Haithabu, Schauspiel von Paul Leuchsenring, UR
1931 Die Kapitalisten, Komödie von Petersen, P.P., UR (10.11.)
1933 Luther, Niederdeutsche Komödie von Axel Delmar, UR (21.11.)
1935 Seine Majestät der Kindskopf, Komödie von Demandowsky, UR (2.1.)
1935 Totila, NS-Drama von Wilhelm Kube, UR (4.2.)
1935 Stück ohne Titel, Heiteres Traumspiel v. Waldemar Reichardt, UR (24.12.)
1937 Lody - vom Leben und Sterben eines deutschen Offiziers, NS-Drama von Walther Heyer, UR (3.2.)
1937 Bauer Thaysen, NS-Drama von Horst Thorsen, UR (20.11.)
1938 Revolution bei Busse, Komödie von E. Demandowsky, UR (12.1.)
1938 Gudrun, NS-Drama von Tilo von Throta, UR (2.2.)
1938 Bildnis des Königs, Komödie von Theodor Rust, UR (9.9.)
1939 Karrieren, Komödie von Ander, UR (11.1.)
1941 Muttermal, Volksstück von Max Hecht, UR (18.1.)
1941 Sigtrygg, NS-Drama von Karl Weise, UR (11.11.)
1943 Märchen von der Wundergeige, von Hermann Wanderscheck, (NS-Dramatiker), UR (27.11.)
1946 Bagatellen, Operette von Jan Berolin, UR (12.9.)
1951 * Das verheiratete Fräulein Jacqueline, Komödie v. Verneuil, dt. Erst (22.3.)
1953 Die blonde Frau, Schauspiel von Walter Wenzel, UR (11.4.)
1954 Luder Masken, niederdeutsche Komödie von Franz Grell, UR (8.11.)
1957 * Iwan der Schreckliche, Schauspiel von Akim Leonoff, UR (18.10.)
1957 * 3. November 1918, Schauspiel von Theodor Csokor, dt. Erst (18.10.)
1957 * Baby Hamilton, Komödie v. Anita Hart u. Maurice Bradell, dt. Erst. (20.12.)
1958 Wat dat Öl nich deit, Niederdeutsche Komödie v. Franz Grell, UR (5.2.)
1958 * Gib acht auf Amelie, Schwank v. Lothar Olias, Musical, dt. Erst (7.2.)
1958 * Die weiße Krankheit, Schauspiel von Karel Capek, dt. Erst. (31.10.)
1958 * Hebt den Stein ab, von Schauspiel von Franz Csokor, dt. Erst (1.11.9)
1959 * Der verlorene Sohn, Schauspiel von Franz Csokor, dt. Erst. (31.10.)
1959 * Verteidigung der Xanthippe, Komödie von Morstin, dt. Erst. (1.11.)
1960 * Boyfriend, Musical von Sandy Wilsson, dt. Erst. (22.1.)
1960 * Adieu Ballerina, Spiel von Klaus Werner, UR (23.9.)
1961 * Der Tölpelhans, Weihnachtsmärchen von Wolf Pahlke, UR (3.2.)
1962 * Der spanische Pavillon, Komödie von J.B. Priestley, UR (23.4.)
1962 Eine kleine Traumfabrik, Musical von Karl Vibach, UR (2.2.)
1962 * Ein Musterknabe, Komödie von Luis Penafiel, dt. Erst. (16.11.)
1963 * Die Schallmühle, Komödie von Leonard Samson, dt. Erst. (31.12.)
1963 * Paradies auf Erden, Kom. v. Poul Sorensen u. Erik Fiehn, dt. Erst (25.1.)
1965 * Nächtliche Erzählung, Schauspiel von Krzystof Choinski, dt. Erst. (12.2.)
1969 Die Höhle von Steenfoll, Märchen von Klaus Reuter, UR (11.6.)
1971 * High Commissioners Candaules, von Dan Gerould, dt. Erst. (23.10.)
1972 * Triki Traki, Komödie von Harald Sommer, dt. Erst. (22.4.)
1972 * Neubeginn, Komödie von Renke Korn, UR (22.4.)
1974 * Rendezvous in Theben, Musical von Friedrich Bremer, UR (19.4.)

BILD-Zeitung vom 7.2.1958

6.2 Härteste Arbeit für Premieren
Der Intendant Dr.Gnekow hielt seine Mannschaften ganz schön auf Trab. Die Theatersaison begann am 1.September und er schaffte es, in jedem September seiner 10 Jahre 3 Premieren anzubieten! Es kam nicht selten vor, dass die Akteure nach der Vorstellung noch um Mitternacht ins "kaputte Sofa" (heute Domhotel) beordert wurden, um dort Probenbesprechungen durchzuführen. Dazu kamen noch die anstrengenden Abstecherfahrten mit den unsäglichen Übernachtungsbedingungen, an denen der Herr Intendant aber nicht teilnahm. (gs) Dr.Schaffner stand Dr.Gnekow darin nicht nach: Er hatte in seinem ersten September 4 Premieren, im 2. drei Premieren. Unter Vibach fiel dieser Schnitt auf 2, unter Rippert und Graschberger auf 1 Premiere.

6.3 Top 11 der Aufführungen
Beispielhafte Erklärung der Tabelle: "Hamlet" von Shakespeare wurde in Schleswig im Zeitraum 1663-1973 in 23 verschiedenen Kalenderjahren aufgeführt.

1663 - 1973 23 Hamlet von Shakespeare
1770 - 1962 22 Minna von Barnhelm von Lessing
1782 - 1967 26 Maria Stuart von Schiller und Shakespeare
1786 - 1974 28 Die Räuber von Schiller
1786 - 1972 26 Kabale und Liebe von Schiller
1824 - 1929 22 Preziosa von Wolff / von Weber
1826 - 1934 19 Wilhelm Tell von Schiller
1867 - 1919 20 Muttersegen von Lortzing
1874 - 1911 17 Der Veilchenfresser von Moser
1875 - 1926 18 Robert und Bertram von Räder
1877 - 1971 19 Die Fledermaus von Strauß
Das erste in Schleswig aufgeführte Theaterstück war "Romeo und Julia" im Jahre 1661. (ep)

6.4 Top 11 der Autoren
Beispielhafte Erklärung der Tabelle: Im Zeitraum 1826-1919 wurden in Schleswig 36 verschiedene "Rührselige Stücke" von Charlotte Birch-Pfeiffer aufgeführt. 25)

1661 - 1973 26 Shakespeare, William Klassiker
1826 - 1919 36 Birch-Pfeiffer, Charlotte, rührselige Stücke
1843 - 1941 29 Benedix, Roderich, bühnenwirksame, anspruchslose Lustspiele
1847 - 1951 28 Görner, Carl August, Märchenspiele
1861 - 1925 26 Pohl, Emil,  Operntexte
1864 - 1974 22 Friedrich, W. [Riese], Operntexte
1867 - 1905 22 Kneisel, Rudolf,  Lustspiele
1867 - 1911 34 Moser, Gustav von,  unterhaltsame Lustspiele
1879 - 1926 28 Blumenthal, Oskar,  leichtgebaute, bühnenwirksame Lustspiele
1879 - 1965 24 Schönthan, Franz , Bühnenwirksame Lustspiele und Schwänke
1897 - 1962 20 Hauptmann, Gerhard,  naturalistische, soziale Dramen

6.5 Stücke über Schleswig 26)
Es gab auch Theaterstücke, die dem Namen nach in Schleswig handelten:
1861 Schleswig 1761 und Schleswig 1861
1864 Abschied von Schleswig
1864 "Die Oesterreicher in Schleswig" oder "Die Einquartierung"
1886 1891 Schleswig bei Nacht
1889 Das schönste Mädchen von Schleswig
1890 Ein Schleswig-Friedrichsberger in Hamburg
1895 Schleswig von der heiteren Seite
1909 Schleswig unter Wasser
1912 Was kostet Schleswig?

6.6 NS-Dramen
Über die Rolle des Theaters im Nationalsozialismus konnte man 1933 lesen:
"Das Wesen der neuen Zeit ist soldatisch. Daraus ergibt sich, daß mit der Vorherrschaft des seichten Gesellschaftsstückes endgültig gebrochen wird. Frackkomödien scheiden aus, ebenso der tote Naturalismus, der nichts weiter war als der grüblerische krasse Individualismus eines absterbenden Bürgertums. Aber auch kein proletarisches Haß-Theater, das den Klassenkampf predigt, wird gespielt werden. Nichts von alledem! Das deutsche Volk ist eine Gemeinschaft von Arbeitern der Stirn und der Faust, Bauern und Soldaten. Straff gegliedert wie der Geist der Nation wird auch die neue Theaterkunst sein. Die Theaterkunst führt kein künstlerisch verträumtes Eigenleben mehr, sondern ist eingeordnet in den Blutkreislauf der Nation." 27)
Passend dazu wurde am 20. Oktober 1933 (SN) die Schleswiger Ortsgruppe des "Kampfbundes deutscher Kultur" gegründet. Als ihr Führer fungierte der Hauptschriftleiter der "Schleswiger Nachrichten" Dr.Fritz Michel.
Über die in Schleswig-Holstein gezeigten NS-Dramen schrieb Kirsten Petersen:
"Zusammenfassend muß zunächst einmal festgestellt werden, daß es den Nationalsozialisten nur zu einem Teil gelang, ihre Vorstellungen und Ansichten einer zeitgemäßen Theaterführung und Spielplangestaltung an den Bühnen in Schleswig-Holstein durchzusetzen. Bei einem abschließenden Überblick über die Anteile der von mir definierten Werkkategorien an den Spielplänen der einzelnen Theater ergeben sich für den gesamten untersuchten Zeitraum folgende Durchschnittswerte in Schleswig:
Repertoirestücke: 27%
NS-Dramen 13 %
Unterhaltung: 60 %
Im Vergleich mit anderen Bühnen im Reich nehmen die schleswig-holsteinischen Bühnen eine Zwischenstellung ein ... Die Tatsache, daß sich der Anteil der NS-Dramen an den Schauspielaufführungen der Theater in Schleswig-Holstein - wenn auch nicht in extrem niedrigen - so doch in gemäßigten Bahnen hielt, ist sicherlich wesentlich auf ihre geringe Resonanz beim Publikum zurückzuführen. Zwar gab es an den verschiedenen Bühnen ... hin und wieder Versuche, der NS-Dramatik auch in der hiesigen Provinz zum Durchbruch zu verhelfen, doch scheiterten diese Unternehmungen letztendlich immer daran, daß diese Werke trotz staatlich gelenkter Besucherorganisationen meist nur niedrige Aufführungszahlen erreichten. Und volle Theater, d.h. ausverkaufte Vorstellungen, war nun einmal oberstes Ziel jeder (auch der nationalsozialistischen Theaterpolitik), zumindestens immer auch schon bedingt durch Finanzierungsfragen. Außerdem bot sich in dem Hinweis auf mangelndes Zuschauerinteresse für die Intendanten die Möglichkeit, offizielle Verlautbarungen und Anordnungen, gewisse Dramen in den Spielplan aufzunehmen, zu umgehen oder möglichst weit auszulegen, während man diesen Verlautbarungen allerdings offiziell in Programmheften, Spielplanentwürfen usw. huldigte.
"Am 30. März 1938 wurde eine Komödie des prominentesten NS-Dramatikers aufgeführt: "Dunkle Wege" von Dietrich Eckart. Er war Hitlers Mentor, der ihm am Ende seines Buches "Mein Kampf" ein Denkmal setzte.

6.7 Fehlende Dramatiker
Es wurde untersucht, welche wichtigen resp. bekannten deutschsprachigen Dramatiker in Schleswig von 1840 bis 1974 nicht auf dem Spielplan standen: 28)
Ulrich Becher, Arnolt Bronnen, Ferdinand Bruckner, Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, Hans Henny Jahnn, Oskar Kokoschka, Karl Kraus, Else Lasker-Schüler, Heinrich Mann, Franz Werfel, und Arnold Zweig.
Dass sich in diesem Kreis linke, antifaschistische und revolutionäre Dramatiker sammelten, ist bei dem politischen Umfeld nicht verwunderlich. Dass auch Juden und Österreicher darunter sind, liegt einfach daran, dass wegen ihrer großen Zahl nicht alle aufgeführt werden konnten. Heinrich Manns Dramen wurden an der Schlei zwar nie gezeigt, aber seinen "Professor Unrat" konnte man 1930 in dem Film "Der blaue Engel" zusammen mit Marlene Dietrich bewundern. 29) Alfred Döblins Dramen waren gar nicht gefragt, selbst seine "Geschichte von Franz Biberkopf" (= Berlin Alexanderplatz), die Anfang der 30er Jahre in Berlin als Film und Hörspiel verbreitet wurde, war hier weder zu sehen noch zu hören. Der Präsident des österreichischen PEN-Clubs (seit 1947) bedankte sich ausdrücklich mit folgenden Worten:

"Intendant Dr.Horst Gnekow
der durch die Aufführung vom
"3. November 1918" den Stein abgehoben hat, der
über meinem Werk in Deutschland lag,
in herzlicher Dankbarkeit
der auferstandene Dichter
Franz Theodor Csokor
Wien 10 / I. 1958" 30)

7.1 Billettpreise
Interessant war die Anzeige eines Gastspieldirektors am 22.7.1888 in den SN:
"Für das hohe Honorar von 300 Mk. habe ich das Aufführungsrecht zu der Mannstädtschen Posse "Der Stabstrompeter" erworben, welche ich bereits Morgen Sonntag, den 22.d.M. zur Aufführung bringe. Hochachtungsvoll M.Knapp-Girard Theaterdirektion"
Heute erhält der Verlag (z.B. Bloch & Erben) mit den Aufführungsrechten 10% der Einnahmen. (gs) Knapp-Girards Billettpreise lagen zwischen 30 Pfg. auf der Gallerie und 1,50 Mk. im Sperrsitz.
1876 zahlten Kinder bis 10 Jahre 1/2 Preis
1880 hatten Militärpersonen ermäßigte Preise vom Feldwebel abwärts
1903 kostete eine normale Theaterkarte 0,75 Mk bis 2,25 Mk, in der Volksvorstellung 0,30 Mk bis 0,50 Mk.
 Ende des 19. Jahrhunderts fand wohl eine Germanisierung der Umgangssprache statt, denn es wurde nicht mehr von Billetten, sondern von Eintrittskarten gesprochen.
1938 zahlten NSDAP-Angehörige 70 Pfg, trugen sie Uniform, so reduzierte sich der Preis auf 50 Pfg.. 31)
In der Saison 1968 / 69 kosteten die Einzelkarten zwischen 3,50 DM und 6,50 DM, Jugendliche bezahlten die Hälfte.
Zum Vergleich: 1888 kostete ein Hühnerei 7 Pfennige, 1968 waren 25 Pfennige zu entrichten.

7.2 Opern, Operetten und Theaterkosten
Das arme, kleine Schleswig konnte sich seit 1840 nur noch eine Sprechbühne leisten; Opern und Operetten wurden überwiegend als Gastspiele auswärtiger Bühnen angeboten, weil sie besonders teuer sind. Nur die Theaterdirektoren Herold und Nicolai wagten sich da ran, sind aber in Konkurs gegangen. Theo Christiansen schrieb ausführlich über die finanziellen Probleme des Schleswiger Theaters, deshalb soll hier ein vergleichender Blick auf andere Bühnen geworfen werden:
"Während in Frankfurt jede Eintrittskarte in der Spielzeit 1998 / 99 mit 336 Mark bezuschusst worden sei, habe Hamburg mit 192 Mark am Ende der Liste gelegen, so die Meldung aus Hessen. Nach dem Hamburger Haushaltsplan ist der Zuschuss pro Zuschauer sogar noch niedriger (Oper: 203 Mark, Schauspielhaus: 133 Mark, Thalia Theater: 117 Mark)." 32)
Relativ unbekannt ist heute die "Posse mit Gesang und Tanz", eine Form des musikalischen Bühnenstücks, das in Schleswig bis zum 1. Weltkrieg sehr populär war und in der Operette aufging.
Das Orchester wurde von 1870-1900 durch die Militärkapelle des 84. Inf. Rgt. v. Manstein gestellt. 33)

8. Sensationen, Verbote und Skandale
1856 Im Anschluss einer "Die Räuber"- Aufführung tauchte im Intelligenzblatt ein sog. "Distichon" auf, das einen Leserbriefkrieg lostrat: "Hast Du Dein Steckenpferd, Freund, auch selbst ziemlich leidlich geritten; Grausam zertraten die Andern die Blüten der Dichtung und Kunst!" (tc1)
1867 Die Ballettänzergesellschaft des Herrn Veroni West bot "Amerikanische Neger- Scenen mit Gesang und Plantagentanz: Überraschend waren für uns die Scenen aus dem Negerleben, die durch Mr. Veroni West, Mrs.Veroni West etc. mit einer solchen Natürlichkeit wiedergegeben wurden, daß man sich unter echte Niggers versetzt glaubte." Die Gruppe kam vom Drurylane-Theater in London, seit 1663 das älteste noch bespielte Theater der Stadt. Nach dem 2. Weltkrieg requirierte die Royal Army das Schleswiger Stadttheater und taufte es in "Drury Lane Theatre Schleswig" um. 34)
1870 Kritik gegen den Theaterdirektor Becker: "Wenn wir über die anderen Personen, welche Schillers "Räuber" aufführen halfen, kein Wort verlieren, so hat dies seinen guten Grund, daß die 60, 65 und 70jährigen Räuber, die den Böhmerwald unsicher machen wollen, unser volles Mitleid erregen ... Auf die theils gereimten, theils ungereimten Pamphlete des Herrn Becker gegen die Schlesw. Nachrichten gehen wir hier nicht weiter ein." 35)
1875 "Der Jongleur", Posse mit Gesang v. Pohl und Conradi, ein "Cancan-Mann im Damenkostüm" 36) war zu dieser Zeit schon eine Sensation, ebenso wie 1894 "Charleys Tante", Schwank von Brandon Thomas, Travestiestück 37)
1916 "Weibsteufel", von Schönherr, Aufführung verboten, Begründung: "Nach unserer Ansicht zeigt die ganze Handlung des Stückes eine an Gemeinheit grenzende Sinnlichkeit, und bietet insgesamt die Heldin des Stückes eine derart unnatürliche Entartung des weiblichen Charakters, daß die Vorführung wenigstens in der gegenwärtigen Zeit abstoßend zu wirken geeignet ist." 38)
1925 "Wer weint um Juckenack" von H. J. Rehfisch, Theaterskandal, (tc1) Es soll im Theater wie in einer Parteiversammlung zugegangen sein: Das Publikum stieß sich wohl an dem unglaubwürdigen Inhalt des Stückes: Juckenack ist begütert, verschenkt all sein Geld an eine Dirne und einen Scheckfälscher, die ihm es wieder vor die Füße werfen, was diesen in den Wahnsinn treibt.
1926 "Der Fall Jung": Zu Beginn der Theatersaison feuerte Intendant Ludwig den Schauspieler Walter Jung, weil er ihm das Götz-Zitat an den Kopf geworfen hatte. Auf Druck der Öffentlichkeit mußte er die Kündigung wieder rückgängig machen. 39)
1953 "Der gute Mensch von Sezuan" von Bertolt Brecht. Diese Aufführung war Dr.Gnekows Beitrag zur Durchbrechung des westdeutschen Aufführungsboykotts gegen Bertolt Brecht. (gs)
1954 "Robinson soll nicht sterben" von Friedrich Forster "Im Dezember 1954 führte der Kreistag "Krähwinkel" auf 40). Er zitierte den Intendanten Dr.Gnekow vor die Schranken. Er hatte es gewagt, dem Wunsch von Erziehern und Pastoren folgend, statt eines "grausamen" Märchens Friedrich Forsters Jugendstück "Robinson soll nicht sterben" aufzuführen. Er wurde vergattert, künftig wieder "Weihnachtsmärchen" im Dezember aufzuführen." (tc2)
1956 Während der Aufführung des Kriegsstücks "Die Unschuldigen" von Saroyan verließen etliche Zuschauer türschlagend das Theater. Sie stießen sich an den vielen Toten auf der Bühne. Heute wird so etwas salopp "body-count" genannt. (gs)

9. Antisemitismus am Schleswiger Theater?
"Im deutschen Reich", einer Monatszeitschrift des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, fand Herr Bernd Philipsen folgende Meldung über eine""Schleswiger Theater-Affaire", die er dem Verfasser freundlicherweise zur Verfügung stellte. Veröffentlicht wurde sie in der April-Ausgabe 1901:
"L.K. Hamburg. Die Schleswiger Theater-Affaire war uns bereits durch eine Notiz der "Staatsbürger-Ztg." bekannt. Danach scheint der Besuch des Stadttheaters durch das antisemitische Vorurtheil der biederen Schleswiger sehr gelitten zu haben und der jüdische Bestandtheil der Weiß´schen Truppe in eine sehr schlimmer Lage versetzt worden zu sein. Das Antisemitenblatt schreibt: "Immer judenreiner wurde die Truppe. Einige Juden blieben aber doch bis zum Schlusse; es ging wohl nicht anders. Sehr komisch war es auch anzuhören, wie die einzelnen Juden über die "abscheuligen Kollegen" schimpften. Ein junger Jude namens Bermann, hatte Aussicht auf ein Engagement in Rußland. Flugs begab er sich zu einem Geistlichen, um sich taufen zu lassen. Nach einigen Unterredungen mit dem Juden begann der Vorbereitungsunterricht, der jeden Tag stattfand, weil Bermann noch vor der Abreise hier getauft zu werden wünschte. Daraus wurde nun aber nichts, und das kam so: Die russischen Pläne scheiterten und Bermann blieb dem Unterricht fern. Er bedurfte ja nun den Einlaßpaß in Gestalt eines Taufscheines nicht mehr und hat es vorläufig aufgegeben, sich "schmadden" zu lassen. Sollte einmal wieder ein Engagement in Rußland in Aussicht stehen, so wird er wohl wieder einen Geistlichen finden, der den gewandten Judenjüngling in die christliche Gemeinschaft aufzunehmen bereit ist." - Das Judenthum wird den Verlust dann wohl verschmerzen und durch denselben wahrscheinlich bei weitem nicht so geschädigt werden, als wenn sich ein Rabbiner fände, der einen Mitarbeiter der "Staatsbürger-Ztg." in die jüdische Glaubensgemeinschaft aufnehmen würde!"
Eine Durchsicht der "Schleswiger Nachrichten" zur Theatersaison 1900/1901 ergab folgende Einträge:
4.10.1900 Der Schauspieler Hugo Bermann, der jetzt bei Theaterdirektor Weiss arbeitet, war vorher im Carl Schultze Theater in Hamburg.
28.11.1900 Theaterkritik zu dem Stück "Mamsell Nitouche ... Der Soldat (Hugo Bermann) hatte die Lacher auf seiner Seite, ging aber mit der Darstellung des Berauschten etc. bis hart an die Grenzen des Erträglichen; in Paris verträgt man mehr, weiß es aber auch mit Chic auszuführen."
10.2.1901 Theaterkritik: "Hugo Bermann zeigte in der Wiedergabe des Idioten Amandu große schauspielerische Geschicklichkeit."
29.3.1901 Theaterkritik zu dem Stück "Jugend von heute ... Die Aufführung wird auch hier eine tadellose sein, und wir hoffen, daß auch diese bei ausverkauftem Hause vor sich geht, umsomehr, als diejenigen Mitglieder, welche bisher noch kein Benefiz hatten, sich diesen Abend zum Ehrenabend erwählt haben. Es sind dies Fräulein Therese Dümpel, ferner die Herren Hugo Bermann und ... Die Herren Bermann und Gräbenitz haben uns des Oefteren gezeigt, daß man auch aus kleineren Rollen etwas gestalten kann, und daß ihr Talent ihnen in jeder Weise Berechtigung giebt, auf eine gute Zukunft in der dornenvollen Bühnenlaufbahn zu hoffen. Wir haben Herrn Bermann als Amandus in "Jugend von heute" gesehen, ... Wie bereits bemerkt, haben alle diese sich in jeder Weise verdient gemachten Mitglieder am morgigen Abend ihr Benefiz und es wäre sehr zu wünschen, wenn auch hier der Wahlspruch: "Gleiches Recht für Alle" durch ein stark besetztes resp. ausverkauftes Haus Ausdruck fände."
Der Verfasser interpretiert diese "Affaire" so: Der Konvertitenunterricht war damals nicht ungewöhnlich. Die antisemitische "Staatsbürger=Ztg." hatte wohl auch Leser in Schleswig, die sie mit Klatsch und Tratsch vom Theater versorgte, was stark aufgebauscht wurde. Dies wiederum griff die jüdische Zeitung "Im deutschen Reich" auf und schlachtete es in ihrem Sinne aus. Die Schleswiger haben lt. SN jedenfalls gar nichts davon gemerkt. Wir kennen dieses Problem auch heute von der yellow-press mit ihren aus den Fingern gesogenen Affären Prominenter, wogegen die sich zunehmend zur Wehr setzen. Nie fielen antisemitische Stücke in Schleswig auf, nicht einmal im Dritten Reich. Ein vergleichbares Theaterstück wie der Film "Jud Süß" im Jahre 1943 wurde hier nicht aufgeführt, auch nicht die nationalsozialistische Akzentuierung des Shylock im "Kaufmann von Venedig". Im Gegenteil, es fanden sich sogar zwei ausgesprochen judenfreundliche Stücke:
1874 Einer von unsere Leut, Singspiel von Kalisch und Stolz
1881 Ein leeres Blatt, Schauspiel von Wulff 41)

10.1 Liste der Theaterdirektoren und Intendanten 1839-2004 (ep, tc1, tc2)
Wie der folgenden Liste zu entnehmen ist, kann das Schleswiger Theater auf sehr wechselhafte Führungen zurückblicken. Gastspiel-Ensembles sind hier nicht aufgeführt.

1839 - ? Dir. Huber, 1. Stadttheater
1842 - 1846 Dir. Schäffer, Stadt-Theater zeitweise mit Graf Hahn-Neuhaus
1846 - Dir. Ludwig Wollrabe, Stadttheater Schleswig
1847 - Dir. E. Engelhardt, Graf Hahn-Neuhaus, Stadttheater Schleswig
1848 - 1849 Dir. E. Engelhardt, Stadttheater Schleswig
1850 - Dir. L. Schäffer, Stadttheater Schleswig
1852 - 1862 Dir. Albert Keßler, Theater Flensburg
1861 - 1866 Dir. L. Friedr. Witt, Kiel-Flensburger Theater
1865 - 1866 Dir. Th. Ruhle, Flensburger Stadttheater
1868 - 1869 Dir. Carl Becker, Schleswig-Flensburger Theater
1872 - 1879 Dir. M. Steinitz, Sommertheater Schleswig Schwerin-Mecklenburg
1873 - 1875 Dir. L. Schindler, Stadttheater Schleswig
1876 - 1879 Dir. F. Willers, Stadttheater Schleswig
1877 - Dir. C. Wegeler, Stadttheater Schleswig
1878 - Dir. Wilhelm Carl, Stadttheater Schleswig
1879 - Dir. Stanilaus von Glotz, Schleswig-Flensburger Theater
1880-1882 Dir. A. Hirschfeld, Schleswig-Flensburger Theater
1882 - Dir. Emil Balk, Schleswig-Flensburg, Haderslebener Theater
1884 - Dir. Th. Classens, Vereinigte Sommertheater Schleswig-ltzehoe
1885 - 1886 Dir. Gustav Weidt, Vereinigte Theater Schleswig-Eckernförde
1886 - 1889 Dir. Fritz Baars, Vereinigte Stadttheater Schleswig-Hadersleben
1888 - Dir. Ludwig Muff, Vereinigte Stadttheater Inh. W. Schütt Schleswig-Rendsburg
1889 - 1893 Dir. F. B. v. Bastineller, Vereinigte Stadttheater Schleswig-ltzehoe
1890 - Dir. W. Grosser, Vereinigte Stadttheater Inh. Feddersen Schleswig- Rendsburg
1890 - 1892 Dir. Eduard Härting, Vereinigte Stadttheater Inh. Fr. Laarsen Schleswig-Uelzen
1892 - Dir. W. Grosser, Vereinigte Stadttheater Inh. Feddersen, Schleswig-Rendsburg
1892 - 1895 Dir. Willy Peters Inh. Carl Nissen, Stadttheater Schleswig
1896 - Dir. C. R. Hahn-Decker Inh. Carl Nissen bis 1907 Stadttheater Schleswig
1897 - Dir. B. Decker, Stadttheater Schleswig
1898 - 1900 Dir. Carl Pötter, Stadttheater Schleswig
1900 - 1902 Dir. L. Friedr. Weiß, Stadttheater Schleswig
1903 - Dir. H. Schebarth, Stadttheater Schleswig
1904 - 1910 Dir. Hans Polte, Subv. Stadttheater Schleswig Inh. Bruno Schäffer
1907 Wismar-Rendsburg
1910 - 1911 Dir. Ida verw. Polte Inh. Flensburger Exportbrauerei, Stadttheater Schleswig
1912 - 1924 Dir. Albert und Friedrich Herold, Nordmark-Verbandstheater
1924 - 1926 Intendant Bruno Bacher, Nordmark-Landestheater
1926 - 1927 Intendant Franz Ludwig, Nordmark-Landestheater
1927 - 1929 Intendant Zurek + Hussina (Verw.-Leiter) Nordmark-Landestheater
1929 - 1930 Spielleiter Hell + Hussina (Verw.-Leiter) Nordmark-Landestheater
1930 - 1932 Intendant Dr.Herm. Schaffner, Nordmark-Landestheater
1932 - 1933 Gastspiele der Vereinigten städt. Theater zu Kiel
1933 - 1934 Intendant Bruno Schönfeld, Norddeutsche Bühne
1934 - 1936 Intendant Bruno Schönfeld, Nordmark-Landestheater, Stadttheater Schleswig
1936 - 1937 Intendant Paul Kolkwitz, Nordmark-Landestheater
1937 - 1939 Intendant Dr.Jost Dahmen, Nordmark-Landestheater
1939 - 1944 Intendant Rudolf Hartig, Nordmark-Landestheater
1939 - 1945 Stellvertretende Intendantin Gertrud Hoffmann
1945 - Dir. Carl-Heinz Goeke, Apollo-Theater im Gr.Baumhof 42)
1945 - 1946 Dir. Carl Nicolai Schleswig-Holsteinisches Operetten-Theater im Gr.Baumhof
1946 - Drury-Lane Theatre Schleswig im Stadttheater
1946 - Dir. Carl Nicolai Schleswiger Bühnen
1946 - 1949 Dir. Carl Nicolai Renaissance-Theater
1949 - 1950 Geschäftsführer Rolf Ziegler
1949 - 1950 Leiter Wolf Hecht, Zimmertheater in der "Brücke"
1950 - 1960 Intendant Dr.H. Gnekow, Nordmark-Landestheater
1960 - 1963 Intendant Karl Vibach, Nordmark-Landestheater
1963 - 1968 Intendant Heinz Rippert, Nordmark-Landestheater
1968 - 1973 Intendant Toni Graschberger, Nordmark-Landestheater
1974 - Stellv. Intendant Friedrich Bremer
1974 - 2001 Generalintendant Dr. Horst Mesalla, Schleswig-Holsteinische Landestheater und Sinfonieorchester GmbH
2001 - 2010 Generalintendant Michael Grosse, Schleswig-Holsteinische Landestheater und Sinfonieorchester GmbH
2010 Generalintendant Peter Griesebach, Schleswig-Holsteinische Landestheater und Sinfonieorchester GmbH

10.2 Die "Schleswig-Holsteinische Landestheater
und Sinfonieorchester GmbH" seit 1974
Theo Christiansen schrieb 1974: "Nach dem 2. Weltkrieg nahmen "die Besucherzahlen im Lande zunächst stetig zu und erreichten 1961 den höchsten Stand. Danach sanken sie ständig ab. ... Die Umsiedlung, die Motorisierung, das sich immer mehr durchsetzende Fernsehen und die zunehmende geistige Trägheit der Wohlstandsbürger sind einige der Gründe der absinkenden Besucherzahlen." Es wurden deshalb Verhandlungen eingeleitet, um den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen Rechnung zu tragen, an denen auch der ehemalige Schleswiger Intendant Vibach beteiligt war. Sie mündeten am 26.Juni 1973 in der Gründung der "Schleswig-Holsteinische Landestheater und Sinfonieorchester GmbH". Zu den Mitgliedern gehörten: Stadt Flensburg, Stadt Rendsburg, Stadt Schleswig, Kreis Rendsburg/Eckernförde, Kreis Schleswig, Kreis Dithmarschen, Kreis Nordfriesland, Kreis Steinburg, Kreis Flensburg, Stadt Heide, Stadt Husum, Stadt Itzehoe, die Städte Meldorf und Bad Segeberg zusammen 1, die Städte und Gemeinden Friedrichstadt, Leck, Niebüll, St.Peter-Ording, Westerland und Wyk auf Föhr zusammen. Die Kernmitglieder waren Flensburg, Schleswig und Rendsburg. Weil Schleswig es - finanziell gesehen - am wenigsten nötig hatte, diese Fusion einzugehen, bekam es auf Verlangen die Generalintendanz, mit deren Leitung Dr. Horst Mesalla beauftragt wurde. 43, 44, gs)

11. Schleswiger Persönlichkeiten im Theaterleben 1840-1974
Die Theaterdirektoren und Intendanten aus der Zeit von 1840 bis 1962 sind von Theo Christiansen mehr oder weniger hinreichend gewürdigt worden. Einige Personen werden aber noch einmal beschrieben, weil durch den größeren zeitlichen Abstand neue Facetten ihres Lebens sichtbar wurden.

11.1 Friedrich Neupert (Dramatiker, Schauspieler und Zahnarzt)
Nachruf in den SN vom 19.3.1881
"In dem vorgestern morgens 6 Uhr verstorbenen Zahnarzt Friedrich Neupert ist eine der bekanntesten und originellsten Persönlichkeiten unserer Stadt ins Jenseits hinübergegangen. Der Hingeschiedene war in der Stadt Schleswig geboren am 24. Mai 1800 als der älteste Sohn des damaligen Hofjuweliers Neupert. Er widmete sich in technischem Sinne dem Kunstgewerbe seines Vaters, zeigte aber daneben - kaum zum Jüngling herangewachsen - entschieden Talent und Vorliebe für Theater, Dichtkunst und Musik. Kurz er war eine künstlerisch veranlagte Natur. Kaum 18 Jahre alt spielte er hier schon auf einem Liebhaber-Theater, vorwiegend komische Rollen. Vor ungefähr 40 Jahren wandte er sich der Zahnheilkunde und der Zahntechnik zu, ein Geschäft, das er bis an sein Lebensende mit Erfolg betrieben hat. - Friedrich Neupert ist als Dichter und Schriftsteller aufgetreten während einer langen Periode seines Lebens, zahlreiche Gelegenheitsgedichte, Theaterkritiken, Beiträge im Itzehoer Wochenblatt (jetzt Nachrichten), erinnern hieran. Er hat auch einige kleine Lustspiele, bzw. Possen geschrieben, u.a..""Die beiden Fouriere", eine Lokalposse, welche um das Jahr 1840 auf dem hiesigen Stadttheater zur Aufführung kam. Selbige war mit einem etwas grobkörnigen Witz stark gesalzen und gepfeffert, und da sie ihre Spitze gegen die dänischen Offiziere kehrte, so konnte es nicht fehlen, daß diese Herren Wuth schnaubten zum großen Gaudiums des Publikums. - Neupert war auch Musiker in dem Sinne, daß er Klarinette und Flöte blies, und vor 20 Jahren einen kleinen Gesangverein dirigirte. ... Fr.Neupert war bis zum letzten Augenblick geistig frisch, doch in letzterer Zeit körperlich gebrochen - er starb nach 14tägiger Krankheit fast 81 Jahre alt."

11.2 Adalbert Graf von Baudissin (Dramatiker)
wurde am 25.1.1820 in Hovedgaard / Jütland geboren. Er besuchte die Schleswiger Domschule, ist nach dem Abitur weggezogen und kehrte 1865 nach Schleswig zurück. Zwei Theaterstücke tragen seine Handschrift:
1867 Die gefundene Handschrift oder Ich heiße Schultz
1867 Annektiren In Wiesbaden beendete er 1871 sein Leben. 45)

11.3 Wolf Graf von Baudissin (Dramatiker)
Sohn des Adalbert Graf von Baudissin, wurde am 30. Januar 1867 in Schleswig geboren, besuchte die Domschule und diente von 1896 bis 1900 als Offizier im Inf. Rgt. v.Manstein (Schleswigsches) Nr. 84.
Er war ein produktiver Schriftsteller mit meist humoristischen Novellen und Romanen aus dem Militärleben. Er schrieb einige recht kritische Romane über die Schattenseiten des preußischen Militärlebens, besonders des Offizierslebens, die innerhalb des preußischen Heeres verpönt waren, aber oft gelesen wurden. Wolf Graf von Baudissin firmierte auch unter den Pseudonymen: "Freiherr von Schlicht" und "Graf Günther Rosenhagen".
Zwei seiner Theaterstücke wurden auch in Schleswig aufgeführt:
1902 Im bunten Rock, von Schlicht und Schönthan, (Uraufführung)
1903 Liebesmanöver, von Schlicht und Curt Kraatz
Am 4. Oktober 1926 suchte er in Weimar den Freitod. 46)

11.4 Weitere Baudissins (Rosa, Asta und Ulrich)
- Rosa Gräfin von Baudissin war eine Tochter von Adalbert Graf von Baudissin. Am 2. Februar 1931 veröffentlichte sie in den SN einen Aufsatz über das Schleswiger Theater.
- Asta Heiberg, geb. von Baudissin, eine Schwester von Rosa, widmete 1897 in ihrem Buch "Erinnerungen aus meinem Leben" dem Schleswiger Theater ein ganzes Kapitel.
- Ulrich Graf von Baudissin, ein weiterer Bruder von Rosa, schrieb das Theaterstück: "Die Quadrone", das 1862 hier aufgeführt wurde. 47)

11.5 W.Wilibald Wulff (Dramatiker)
Nachruf in den SN v. 31.3.1893:
"Schleswig, 30. März. Heute ist der alte, treue Vorkämpfer des Thierschutzes in Schleswig-Holstein, der Begründer des Schleswiger Thierschutzvereins und des Schleswig- Holsteinischen Thierschutzverbandes und dessen langjähriger unermüdlicher Leiter W.Wilibald Wulff im 86. Lebensjahre verstorben. W. Wilibald Wulff hat hier in unserer Stadt viele Jahre des Ruhestandes verlebt, den er nach längerer und verdienter Beamtenthätigkeit im Hamburger Polizeidienst hier genoß, seine Zeit und Muße neben den Thierschutzbestrebungen auch der Dichtkunst widmend, in deren Dienste er neben vielen lyrischen Gedichten auch einzelne Dramen, die am hiesigen Stadttheater aufgeführt wurden, produzierte. Bis in hohe Jahre hinauf körperlich rüstig und geistig frisch, litt er in letzter Zeit sehr unter der Schwäche des Alters, an Haus und zum Theil auch ans Bett gefesselt. Sanft ruhe seine Asche!" 48)
Wulff schrieb acht Theaterstücke, die alle aufgeführt wurden:
1870 Durch Nacht zum Licht
1877 Der Zauber der Humanität
1877 Lamm und Löwe
1880 Die Geisterbannerin
1880 Gräfin Lea
1881 Ein leeres Blatt
1881 Die letzten Ditmarsen
1888 Farinelli, von Willibald Wulff und Charles Caßmann 49)

11.6 Emil Terno (Dramatiker)
wurde am 24.12.1852 in Breslau geboren. Seit 1878 arbeitete er als Zeichen- und Schreiblehrer an der Domschule. Terno zeichnete sich durch eine große Vielseitigkeit aus: Organist, Gedichte, Maler, Mitglied im Vorstand des Schleswiger Altertumvereins, Direktor des Altertummuseums und Leiter der Hoeschen Bibliothek. Er schrieb nicht nur Theaterkritiken, sondern auch Theaterstücke, die hier aufgeführt wurden:
1893 Der Königsschuß (Ternos Ehefrau spielte hier mit)
1897 Der erlöste Peri
1911 Die Nixe
1911 Manstein allzeit voran
1914 Der Morgen tagt
Am 13. Februar 1912 gastierte der berühmte Theaterdirektor Max Reinhardt aus Berlin in Schleswig mit dem Drama "König Oedipus" von Sophokles, was den Bemühungen von Emil Terno zu verdanken war. Vom 4.1.1923 bis 5.3.1923 war er Hauptschriftleiter der SN. Emil Terno starb am 3. November 1939. 50)

11.7 Bruno Gerhard (Schauspieler)
wurde 1893 in Itzehoe geboren. In Schleswig ging er zur Schule und begann seine Ausbildung als Schauspieler bei Intendant Herold (1918). Nach dem Kriegsdienst kehrte er erst 1948 wieder nach Schleswig zurück, um hier bis 1959 zu arbeiten. Er spielte 600 Rollen und führte 80mal Regie. Seine Lieblingsrolle war der Geheimrat Schlüter in Kästners "Das lebenslängliche Kind". Von 1950 bis 1961 hatte er die künstlerische Leitung der Niederdeutschen Bühne Schleswig inne. Sein persönliches Markenzeichen war die Tabakspfeife. Er starb im Jahre 1969. 51)

11.8 Franz Grell (Dramatiker)
wurde am 17.3.1882 in Schleswig geboren und erlernte den Drogistenberuf. In seiner Freizeit widmete er sich auch dem "Biochemischen Verein", dem Segeln (SSC) und der Politik (CDU).
Sein große Liebe war das Theater. Zusammen mit seinem Bruder Ferdinand, der 1931 freiwillig aus dem Leben schied, und dem Redakteur der Volkszeitung Hans Flatterich gründete er 1923 den Theaterbesuchsverband "Volksbühne".
Nach dem 2. Weltkrieg wurde er Vorsitzender der Niederdeutschen Bühne und schrieb plattdeutsche Komödien:
1954 Luder Masken
1958 Wat dat Öl nich deit.
Am 29. April 1959 wurde er mit großen Ehrungen zu Grabe getragen. 52)

11.9 Hans Flatterich (Redakteur)
wurde 1882 in Winnert Krs. Husum geboren. Er erlernte den Beruf des Schriftsetzers. Anfang der 20er Jahre wurde er Schriftleiter der sozialdemokratischen Zeitung "Schleswiger Volkszeitung" bis 1931. 1923 gründete er mit den Gebrüdern Grell den Besuchsverband "Volksbühne", deren Vorsitz er bis 1926 bekleidete. Er wurde Mitglied der Schleswiger Stadtvertretung und des Magistrats. Nach dem Attentat auf Hitler internierte man ihn im Konzentrationslager Neuengamme. Als der Krieg zu Ende war, trat er in den SSW ein und arbeitete als Journalist für den Flensborg Avis. Er starb 1964. 53)

11.10 Bruno Bacher (Intendant)
Über den Intendanten Bruno Bacher berichtete Theo Christiansen u.a.: "Der Spielplan war der Grund dieser Verhärtung. Bruno Bacher hatte den "Konservativen" - auf Anregung der Volksbühne - harte Kost dargeboten ... Das mißfiel dem Bühnenvolksbund. Er stellte in einer Versammlung wenige Tage nach der Veröffentlichung der Aufstellung fest, daß ihm der Spielplan mit Wedekind, Klabund, Brecht 54) , Bronnen usw. ".. deren Ehebruchsdramen, Dirnen und Bordellatmosphäre . . . " mißfalle. Hans Röper und Oberregierungsrat Dr.Livonius waren die Hauptsprecher. Bacher ging nach 2 Jahren auf "eigenen Wunsch" zum 30.6.1926 nach Südamerika. Es scheint nicht sicher zu sein, daß sein Fortgang ganz friedlich war. Er war ein Vollbluttheatermann mit der Kehrseite eines Lebenswandels, der zwar die Schleswiger außerordentlich interessierte, ihnen aber die befriedigende Möglichkeit der moralischen Entrüstung gab. Viel Klatsch mag aber auch mit seiner Gestalt verbunden gewesen sein." (tc1)
Bruno Bacher war ein sehr anhänglicher Intendant. 1931 veröffentlichte er in den SN einen großen Bericht über das Theater in Buenos Aires. Sein Resümee gipfelte in folgendem Satz: "Mit Stolz und Genugtuung behaupte ich, daß das "Nordmark-Landestheater" Spielhaus Schleswig, trotz seines bescheidenen Rahmens und seiner geringen Größenverhältnisse in moderner Bühneneinrichtung, Beleuchtung, künstlerischer Arbeit und Inszenierung sämtliche hiesigen Theater, Teatro Colon an der Spitze weit überragt. Schleswig kann auf sein Theater stolz sein." 55)

11.11 Christian Tränckner (Dramatiker)
wurde am 7.3.1872 in Schleswig geboren und übte den Lehrerberuf aus. Er war anspruchslos, fiel durch seinen Alltagsrock, Butterbrot und Fahrrad auf. Rietzler stellte lapidar fest, dass "Tränckners Auffassungen von Kunst und Literatur mit den nationalsozialistischen Vorstellungen auf diesem Gebiet nahezu kongruent waren." Tränckner war literarisch sehr aktiv und schrieb auch zwei Theaterstücke, die hier aufgeführt wurden:
1926 Faust
1927 Der tolle Frederik Ende
1927 verließ er seine Heimatstadt, um nach Leipzig zu ziehen. Seine Spur konnte bis 1942 verfolgt werden, weil dann noch eine Ausgabe seiner "Die alte Truhe" erschien. 56)

11.12 Paul Leuchsenring (Dramatiker)
wurde am 6.12.1892 in Mohrungen geboren. Er war verheiratet und arbeitete als Taubstummenlehrer in Schleswig. Theo Christiansen widmete ihm ein ganzes Kapitel. Neben einigen Hörspielen produzierte er auch 4 Theaterstücke: 1928 Die verzauberte Torte
1930 Kämpfer ohne Schwert
1931 Haithabu
1935 Die Regatta Leuchsenring starb am 6. März 1971 in Schleswig, wobei ihm weder eine Todesanzeige noch ein Nachruf folgte. 57)

11.13 Johannes Thomsen (Dramatiker)
wurde am 30. Juli 1891 in Torsballig als Sohn eines Bauern geboren. über ein Jahrzehnt wirkte als Mitglied des Redaktionsausschusses der "Beiträge zur Schleswiger Stadtgeschichte". Aus seinem Werkverzeichnis lassen sich zwei Schwerpunkte ablesen: Die Heimat- und Landeskunde und das Männerchorwesen, in dem Thomsen eine geschichtsbildende Kraft sah. Darüber hinaus bildet sein jahrzehntelanges Wirken als Kirchenältester der Schleswiger Domgemeinde und als Synodaler der Propstei Schleswig einen ehrenamtlichen Arbeitsbereich, der Johannes Thomsen eine Herzensangelegenheit war. In einer Reihe von 60 Artikeln behandelte Thomsen ab 1940 in den "Schleswiger Nachrichten" "Alt-Schleswig in Wort und Bild". 1930 wurde sein Heimatfestspiel "Der deutsche Funke" aufgeführt. 58)

11.14 Dr.Hermann Schaffner (Intendant)
war ein rühriger Mann, der nach seiner Schleswiger Zeit Intendant in Erfurt und Generalintendant in Dortmund wurde. In einem Brief aus dem Jahre 1950 erinnert er sich an seine Schleswiger Zeit:
"Lieber Kollege G n e k o w !
... Noch heute bewundere ich den Mut, den Bürgermeister Dr.Behrens und die Mitglieder des Zweckverbandsausschusses mit diesem Experiment bewiesen. Mir haben sie damit die zwei glücklichsten Jahre meines Theaterlebens beschert. Sicherlich - ich habe später künstlerisch großzügiger arbeiten können - ich hatte in Chemnitz im Opernhaus Gagen bis zu 24000. RM zur Verfügung - ich konnte 3 Tenöre mit je 18000. RM Gage plus Spielhonoraren verpflichten - die Ausstattung der "Meistersinger" durfte 20000. RM kosten und in Schleswig standen für eine ganze Spielzeit keine 5000. RM zur Verfügung - ich kann heute eine Inszenierung in 3 bis 4 Wochen ausreifen lassen, während wir in Schleswig in jeder Woche eine Neueinstudierung brauchten - aber so persönlich verbunden fühlte ich mich keinem Theater, keiner Stadt wie Schleswig.
Wenn ich daran denke, was wir mit unseren geringen Mitteln wagten, wenn ich an Hamsuns "Spiel des Lebens", an Strindbergs "Königin Christine" denke, dann überrieselt mich ein Schauer über diesen unbekümmerten Leichtsinn, und ich bewundere umsomehr diesen aufgeschlossenen theaterfreudigen Besucherstamm, der damals treu zu seiner kleinen Bühne hielt, während in den Großstädten die Theater vor leeren Häusern spielten.
Wenn ich an unsere Dekorationen denke, die paar zu Spitzbogen zusammengenagelten Latten, in denen "Was ihr wollt" spielte, an die immer wieder abgewaschenen und neu übermalten Zimmerwände, wobei wir noch überlegen mußten, wie viel Pfennige das kg Farbe kostete und wobei die Erdfarben den Vorzug hatten, weil sie billiger waren, wenn ich an Silvester und den Neujahrstag 1931 denke, wo meine Frau und der junge Kapellmeister Koerver mit mir den ganzen Tag in der Wohnung aus Kreppapier Tulpen für Eichendorffs "Freier" banden, dann weiß ich zwar, wie ich sparen lernte, ich weiß aber auch, was Theaterliebe in einer kleinen Stadt bedeutet - und dann freue ich mich ganz besonders, daß Schleswig jetzt wieder sein eigenes Schauspiel hat - dieses Publikum verdient sein Theater.
Und das kleine, vielfach vielleicht zu junge Ensemble damals wußte, was es diesem Publikum schuldete. Da gab es keine Rücksicht auf Probendauer, da war die Norm des Probenschlusses, wenn wir nicht früh auf Abstecher fuhren, zwischen 15 und 16 Uhr; da kam es dann aber auch vor, daß ein humorvolles Mitglied des Ensembles meine Armbanduhr, die auf dem Regietisch lag, alle halbe Stunde während einer intensiven Besprechung immer wieder 10 Minuten vorstellte und die Probe dann doch schon um 14.30 Uhr aus war.
Glauben Sie nun aber nicht, daß wir im Gegensatz zu Ihren Schwierigkeiten nur verhätschelt wurden. Jener mutige Zweckverbandsausschuß hatte nach meiner Wahl ganz einfach die Stelle des Bühnenbildners gestrichen - und ich konnte sehen wie ich fertig wurde. (Meine Frau ist zagenden Herzens und manchesmal mit Tränen in die Bresche gesprungen). Da wurden nach dem Bankenkrach 1931 die Zuschüsse von Land und Provinz nicht unerheblich gekürzt und der Kreis strich kurzerhand seinen Zuschuß ganz. Da hieß es erneut sparen und damals kannte ich die Preise der verschiedenen Qualitäten Malleinen, Sperrholz, Pappe, Latten der verschiedensten Dicke, auswendig.
Als ich an einem frühen Januartag mich in Schleswig vorstellte, da ahnte ich noch nicht, wie sehr ich auch bald im Lande Wurzel schlagen würde. So verschlossen, wie sie sich selbst halten, waren die Schleswiger nicht - bald waren wir herzlich aufgenommen, bald war ein Freund für's Leben gewonnen, Erwin Zillinger, der idyllisch im Johanniskloster hauste. Das hat keine der großen Städte später beschert.
Und dann lernte ich das Land kennen und lieben. Ich hatte eine triste Einöde erwartet (so stellt sich der Rheinländer Schleswig-Holstein vor), - bald kannte ich Weg und Steg im Tiergarten und Pöhler Gehege - wie oft bin ich um's Haddebyer und Selker Noor gewandert, nach Louisenlund gefahren oder bis nach Schleimünde - wie sehr haben wir vor allem in der Industriestadt Chemnitz unserer Wohnung am Thiessensweg und dem weiten Blick auf Schloß Gottorp nachgetrauert." 59)

11.15 Bruno Schönfeld (Intendant)
Kirsten Petersen kommentierte Schoenfelds Zeit so: "... war die schon erwähnte Aufführung des Werkes von Gauleiter Kube "Totila" nicht die einzige Konzession an den Zeitgeist". Warum Schoenfeld diese "Konzession" machte - in der Tat weisen seine Spielpläne im Vergleich zu Kiel und Flensburg einen recht hohen Anteil von NS-Dramen auf - und ob dies überhaupt aus freien Stücken geschah, muß in Ermangelung von Material, das über seine persönliche Einstellung Aufschluß geben könnte, leider im Unklaren bleiben." Frau Petersen muß ein Irrtum unterlaufen sein, denn sie wird durch ihre eigenen Zahlen widerlegt.
Anteile der NS-Dramen in:
Kiel 18%
Flensburg 16%
Lübeck 13%
Schleswig 13%
Schönfeld 15%.
Auch Bruno Schoenfeld schrieb 1950 seine Erinnerungen an Schleswig in einem Brief nieder: Vorab-Erklärung: Die "Stumpfe Ecke" war neben dem "Kaputten Sofa" (= Domkrug) die Stammkneipe der Schleswiger Theaterleute. (gs)
"Lieber Kollege Gnekow
... Welche Freude war das für mich, kürzlich auf der Wiesbadener Intendantentagung S i e, den ich vor Jahren einmal in Berlin als theaterbeflissenen Musenjünger kennengelernt hatte, als meinen Nachfolger in der Intendanz des Nordmark-Landestheaters wiederzufinden! Rasch knüpften sich die Fäden des Gesprächs und die wesentlicheren der herzlichen Beziehung; bald gesellte sich auch mein Vorgänger Doktor Schaffner als der Dritte im Bunde zu uns, und nach dem offiziellen Teil des Empfangs der Stadt setzten wir drei uns in einer Ecke des Ratskellers zusammen, und da packten wir nun aus mit unseren Schleswiger Erinnerungen - o hau, o hau, o ha! In dieser Ecke ging es nicht spitz her und nicht scharf, es war im Gegenteil gewissermaßen eine s t u m p f e E c k e und mit diesem doppelsinnigen Stichwort sind wir mit beiden Beinen auf dem alten lieben Lollfuß gelandet. Es bewahrheitet sich, was mir damals am Tage meiner Ankunft der neue Bekanntenkreis - aus dem Munde Franz Götkes, der bald zum Freunde wurde und heute der Urfreund ist und bleibt - im Deutschen Keller sagte: nach Schleswig, in diesen nordischen Winkel, kommen die Theaterleute alle mit Vorbehalten und großen Bedenken, aber sie sind dann alle gern hier und fühlen sich wohl, sie gehen schwer von hier fort und tragen Erinnerung und Sehnsucht im Herzen. Was macht nun den einzigartigen Charakter der Stadt Schleswig, des Landes Schleswig-Holstein aus? Ich glaube dies: daß sie, daß es Charakter h a t. Unverwechselbaren! Schloß Gottorp hier, der herrliche Dom dort! Oben auf der Höhe das Denkmal "Up ewig ungedeelt", unten die vorzeitumwitterte Stätte von Haithabu; und wie über dem Holm, dem alten Fischerdorf, die Stadt zwanglos fast naturgegeben in die Landschaft; übergeht: Die Schlei, die große Breite, Missunde und weiter bis nach Schleimünde am östlichen Meer." 60)

Jonny Reincke, der Wirt der "Stumpfen Ecke", des Stammlokals der Schleswiger Theaterleute

11.16 - 11.17 Irene Klein (Orna Porat) (Schauspielerin)
wurde 1924 in Porz bei Köln geboren, wo sie eine Schauspielschule besuchte. Die Schleswiger Intendantin Gertrud Hoffmann engagierte sie dort 1942 vom Fleck weg, ohne ihre Abschlußprüfung abzuwarten. Sie wohnte dann im Hause Dr.Moosmanns in der Neuwerkstraße 7, das als "Idiotenhaus" bezeichnet wurde, weil hier ein Treffpunkt extravaganter Menschen war. Nach der Schließung des Theaters im Herbst 1944 erwartete sie mit ihren Freunden sehnlichst die Kapitulation des Deutschen Reiches. Durch antifaschistische und kommunistische Freunde beeinflußt, stellte sie bei der englischen Besatzungsmacht den Antrag, in die Sowjetunion auswandern zu dürfen. Dies kam dem Geheimdienst der britischen Armee "275. Field Security Sections (FSS)" doch sehr spanisch vor. Wie der Zufall es wollte, war sein Quartier just links neben dem Haus von Dr.Moosmann. Frl. Klein wurde vorgeladen, um ihr Anliegen mündlich vorzutragen und zu begründen. Der verhörende Offizier war ein ehemaliger deutscher Jude aus Köln - Josef Porat. Sie verliebten sich und als er nach Israel zog, konvertierte sie, heiratete und folgte ihm. In Israel machte sie eine steile Karriere als Schauspielerin und gründete das Nationale Kinder- und Jugendtheater. Hohe Ehrungen folgten wie die Ehrendoktorwürde der Universität Tel-Aviv und der höchste Orden, der "Israel-Preis". Am Grab von Premierministerin Golda Meir hielt sie die Trauerrede. 1981 stattete Orna Porat dem Schleswiger Theater einen Besuch ab, worüber der WDR einen Film drehte. 61)

11.25 Schauspieler in Schleswig mit einem "Namen"
Zu diesen zählen natürlich auch die Lokalgrößen.
Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, von jedem Schauspieler einen Lebenslauf zu präsentieren, auch wenn sie noch so berühmt waren. Denn es konnten 3425 Schauspieler und sonstige Personen gezählt werden, die irgendwie in Beziehung zum Schleswiger Theater standen. Vor 1840 fanden sich 633. Die Jahreszahlen zeigen ihr Auftreten in Schleswig an. Die Schauspieler, die bereits im "Gnekow-Aufsatz" aufgeführt wurden, sind hier nicht dabei.

1869 - 1877 Bethge-Truhn, Selma
1875 Seebach-Niemann, Marie, Thalia-Theater Hamburg
1876 Rossi, Anna, Thalia Hamburg
1892 1893 Kainz, Josef
1894 Ellmenreich, Franziska, Straße und Café in HH
1895 Petri, Lilli ,Gast aus Berlin
1897 Segisser, Agathe, Leserbrief verlangt Frau Segisser
1898 Matkowski, Adalbert Berlin
1903 - 1937 Wangel, Hedwig
1909 - 1910 Schenk, Richard, Opernsänger aus Lübeck
1912 Reinhardt, Max, Intendant, Berlin
1912 Reinboth, Alfred ausBerlin
1912 Klein, Josef aus Berlin
1912 Hruby, Elisabeth von Wiener Hofburg
1925, 1960 Towska, Lilly
1918 - 1964 Gerhard, Bruno, "alter" Schleswiger Schauspieler
1933 - 1934 Wegener, Paul
1933 Rieth, Rudolf, Hörspiele
1933 - 1937 Nötzoldt ,Hello, Bühnenbildner
1934, 1937 Gebühr, Otto
1934 Körner, Hermine
1940 - 1961 Hoffmann, Gertrud, "alte" Schleswiger Schauspielerin und stellv. Intendantin im Krieg
1942 - 1944 Klein Irene, berühmt als Orna Porat in Israel
1945 - 1947 Ott, Ruth-Esther Frau von Nicolai, auch in den 50er Jahren
1946 - 1948 Schöppe, Gerhard, Opern-Sänger auf Einzel-Tournee 1968-1993 Chorleiter vom Schleswiger Männerchor von 1839
1946 - 1969 Hild, Oswald, "alter" Schleswiger Schauspieler
1947 - 1948, 1960, 1961 Reincke, Heinz
1949 - 1963 Sagell, Ellen, "alte" Schleswiger Schauspielerin, Nichte v. Emmy Göring
1959 - 1960 Cramm von, Bruno, Sohn vom berühmten Tennisspieler

12. Theaterkritiker in den "Schleswiger Nachrichten" (th)
Nicht immer haben die Theaterkritiker mit ihrem Namen unterschrieben, oft gab es nur ein Kürzel. Die vielen Feuilletonisten anderer Zeitungen gehören nicht in diese Arbeit. Aber einer von ihnen muß unbedingt hervorgehoben werden, weil der Intendant Dr.Gnekow immer besonderen Wert auf seine Abhandlungen legte, nämlich Alexander Kus von der Volkszeitung in Kiel. (gs) Er schrieb von 1947 bis 1965 und sein Kürzel war "A.K". Otto Pautz wohnte zwar in Schleswig, aber arbeitete nach dem Kriege nicht mehr für die SN.

1862 1863 d
1866 - Ein Kunstfreund
1866 - idem
1867 - H.
1867 - -e-
1875 -1876 Wulff Wilibald
1893 -1903 Heiberg Hermann
1902 - Terno Emil
1910 A.L.
1920 J.M.
1923 -1954 Michel, Dr. Fritz Kürzel: Dr. -el.
1924 - Schober, Dr. C.
1924 1925 Röper Hans Kürzel: hr.
1925 - Vonka L.
1925 - T.B.
1926 - ga.
1926 - O.
1926 -1930 Hellwig H. Kürzel: H-g
1927 -1930 L.B.
1928 - Strecker Karl
1931 -1950 Götke Franz
1933 - Schumann
1934 - Nietzsche
1936 - Gaethgens Hildegard
1936 -1973 Pautz Otto Kürzel: -u-
1937 - Djuren Siebelt
1937 - Lindschau Nis Heinrich
1938 - Biehne Horst
1939 - Wentorff Kurt
1940 1941 Hagemann Carl Walter
1940 -1950 Thomsen Johannes
1949 - K.W.
1950 Dr.R.
1951 - "r"
1953 ZL 1955
1960 OWL
1955 - Asmus
1956 1957 F.A.
1956 1957 ll.
1958-1960 Hambach, Dr. Wilhelm
1960 -1973 Hebbeln Volker Kürzel: V.H.
1961 - D.C.
1963 1974 L.
1964 - gr.
1965 -1972 Hagemann Inge Kürzel: ih
1973 - GK

15. Resümee aus 135 Jahren Schleswiger Theatergeschichte
Von allen Schauspielern, die in Schleswig debutierten, leuchtet kein Stern so hell wie der von Irene Klein (1942-1944 in Schleswig), die in Israel unter dem Namen Orna Porat Karriere machte.

16. Bildernachweis
Überblick von 1618 bis 1837 - Verfasser
Erstaufführungen und Wiederholungen - Verfasser
Theaterzettel - Verfasser
Gastspielbühnen - Verfasser
Niederdeutsche Aufführungen - Verfasser
Jonny Reincke + Frau hinterm Tresen - Dank an Herrn Gerd Skowronek
Irene Klein - Dank an Herrn Erich Koch und Herrn Rudolf Schultz, beide in Schleswig

17. Anmerkungen
ep Eike Pies: Das Theater in Schleswig 1618-1839
GemA Sl-Fl Gemeinschaftsarchiv der Stadt Schleswig und des Kreises Schleswig-Flensburg
gs Mündliche Mitteilungen von Herrn Gerd Skowronek 24.8.2003 bis 14.12.2003
Ibl Intelligenzblatt Schleswig
SN Schleswiger Nachrichten
tc1 Theo Christiansen: Schleswig 1836-1945
tc2 Theo Christiansen: Schleswig und die Schleswiger 1945-1962
th Akten des Schleswiger Theaters im Gemeinschaftsarchiv

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